Gewittervorschau 27.06.-02.07.2021

Typische Gewitterküche Freiburger und Berner Voralpen, am 04.06.2021 vom Bantiger aufgenommen

In der letzten Gewittervorschau wurde darüber geklagt, wie schlecht die Modelle die aktuelle Wetterlage im Griff haben. Nichts Neues bei Trog Westeuropa, mit diesem Problem leben wir bereits seit Jahren, Fortschritte sind keine auszumachen. Doch immer dann wenn man denkt: Schlimmer kann es nicht kommen! – dann kommt es noch schlimmer. Nämlich dann, wenn das Tief über der Biskaya die Verbindung zum Muttertrog im Norden verliert und sich selbständig macht, dann geht die Eierei erst so richtig los. Und genau das erleben wir in den nächsten Tagen. Es geht hier also einmal mehr nicht darum, detaillierte Prognosen abzugeben, sondern viel mehr um Verständnis zu werben, wieso genau dies nicht möglich ist. Eine grobe Abschätzung über die Entwicklung in dieser Woche wird natürlich trotzdem gewagt.

Die Abschnürung des Biskaya-Tiefs vom Trog im Norden wird auf der Karte mit der Druck- und Windverteilung in rund 1550 m Höhe ersichtlich:

Vom nach Norden verdrängten Azorenhoch (über den Azoren sitzt ein Tief) hat sich eine Brücke nach Osten vorangearbeitet und sich zwischen den Muttertrog über dem Nordmeer und das Biskaya-Tief geschoben. Dieses ist relativ klein und somit die zyklonale Windströmung stärker gekrümmt als bei der letzten ähnlichen Lage vor einer Woche. Entsprechend chaotisch präsentiert sich das Windfeld über Mitteleuropa. Das ist der Moment, wo die meisten Modelle ihre Waffen strecken, dann kriegen die nicht mal die aktuelle Situation bzw. die Prognose für die nächsten 6 Stunden gebacken. Beispiel Sonntagabend, Modellläufe vom Mittag (Erscheinungszeitpunkt später Nachmittag bzw. früher Abend):

Modelloutput Niederschlag 12z für 18z. Links das französische, rechts das deutsche Modell (Quelle: meteociel.fr)

Dem aktuellen Radarbild nach zu schätzen (diese Zeilen werden um 18:30 Uhr geschrieben, während es in Muri bei Bern zu tröpfeln beginnt), dürfte die Wahrheit aus einer Kombination beider Modelle bestehen. Auch gut, vor allem weil am Vortag das französische Modell den ganzen Abend noch völlig trocken gezeigt hat. Mit langjähriger Erfahrung kennt man ja seine Pappenheimer…

Die Möglichkeit einer geschlossenen Gewitterlinie durch das ganze Mittelland mit vorlaufender Druckwelle ist also am Sonntagabend gar nicht mehr so abwegig. Dürfte vor allem all jene freuen, die angesichts der landläufigen Prognosen (ein paar Gewitter in den Bergen) noch irgendetwas draussen am Laufen haben.

Wagen wir einen Blick auf die mögliche Entwicklung der Wetterlage bis Freitag:

Wir sehen eine langsame Ostverlagerung des Biskaya-Tiefs nach Mitteleuropa, während sich das Azorenhoch nach Skandinavien verkrümelt. Und nun achte man darauf, was am Ostrand dieses Hochs passiert: Ein weiteres Tief tropft nach Süden ab und nimmt darauf hin Kurs nach Mitteleuropa, wo es sich am Freitag mit unserem ehemaligen Biskaya-Tief vereinigen soll. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist jedes Modell völlig überfordert, denn welchen Weg gedenken die frisch vermählten Tiefdruckzellen (genau genommen ist es jetzt nur noch eine) danach einzuschlagen? Wir werden es hoffentlich noch vor dem Wochenende merken, andere versprechen bereits jetzt Sommer, Sonne, Eierkuchen…

Einigermassen klar ist einzig, dass aufgrund der langsamen Ostverlagerung des Biskaya-Tiefs der unwetterträchtigste Tag in der Schweiz der Montag, weiter östlich der Dienstag und möglicherweise auch noch der Mittwoch ist, denn hier sehen wir die erste Kaltfront am Dienstagabend bereits östlich der Schweiz über Bayern:

Am Montag befindet sich die Schweiz noch vollständig in der energiereichsten Luftmasse, sprich sehr warm und feucht. Gleichzeitig rückt der starke Höhenwind näher und verstärkt somit die Scherung, was Potenzial bietet für Superzellen mit grossem Hagel und schweren Sturmböen, die voraussichtlich am Abend durchs gesamte Mittelland ziehen.

Am Dienstag zieht die erste Kaltfront durch, die Gewitter sind dann eher linienförmig organisiert, was wiederum viel Wind und Regen bringt, aber wahrscheinlich nur noch kleinen Hagel. Die Schwere der Gewitter wird vom genauen Timing im Tagesverlauf abhängen – je später und je mehr die Sonne noch einheizen kann, umso heftiger.

Der Mittwoch wirft noch einige Fragezeichen auf. Während auf der Alpennordseite bereits kühlere Luft lagert und sich die konvektive Aktivität in eher gemässigtem Schauergeschehen manifestiert, könnten sich inneralpin allenfalls noch Nester der schwülen Luftmasse halten und für Gewitter sorgen.

Der Donnerstag scheint der kühlste Tag zu werden, wahrscheinlich werden keine 20 Grad mehr erreicht. Dazu weht zügiger Westwind und es ziehen immer wieder Schauer durch, Gewitter sind eher unwahrscheinlich.

Und am Freitag geht dann das grosse Rätselraten los: Zieht das vereinigte Tief nach Osten ab, setzt sich freundliches Sommerwetter durch, wird es aber vom nördlichen Hoch retrograd nach Westen zurückgesteuert, ist so ziemlich alles möglich.

Obiges alles ohne Gewähr, denn ob sich das Tief an den Fahrplan hält, ist alles andere als sicher…

Gewittervorschau 18.-23.06.2021

Die Hitzewelle an Pfingsten 2014 brachte vielerorts Unwetter (Bern, 09.06.2014)

Auch wenn wir uns vor allem an die Kälte im vergangenen Frühling erinnern, so hat doch die extreme Wärme Ende März gezeigt, dass warme Phasen immer früher im Jahr auftreten. Nicht anders ist es mit den hochsommerlichen Hitzewellen. Vor zwei Jahren haben wir uns über neue Rekorde Ende Juni gewundert und im Vorfeld Prognosekarten, die 35 Grad für Hamburg zeigten, als Modellspinnerei verdächtigt. Gestern gab es die 35 Grad in Hamburg bereits am 17. Juni und etliche Stationen mit über 33 Grad an der Nord- und Ostseeküste, wobei die 33.8 Grad in Cuxhaven neuer Junirekord seit Messbeginn 1946 bedeuten. Wieso ist das für die Gewitterlage am Alpenrand von Bedeutung? Nun, Wettermodelle basieren zu einem grossen Teil auf Statistik, genauso wie Meteorologen aus ihrem Erfahrungsschatz schöpfen. In einem Klima, das immer häufiger extreme Lagen bringt, die so noch nie da waren, versagen Modelle und Erfahrungsschatz gleichermassen. So steht man beim Betrachten der Modellwelt während extremen Lagen immer häufiger wie der Esel am Berg und die Prognose wird zur reinen Lotterie – so ist es auch an diesem Wochenende.

Betrachten wir die Ausgangslage anhand der grossräumigen Druck- und Windverteilung in rund 5500 m Höhe:

Von einem Trog über Westeuropa tropft ein Tief über Portugal ab, auf dessen Vorderseite sehr heisse Luft  von Marokko über Frankreich bis weit nach Nordeuropa verfrachtet  wird. Ein Höhenkeil liegt mit seiner Achse genau über der (Ost-)Schweiz, ein zweites abgetropftes Tief über Osteuropa verhindert die rasche Ostwärtsverlagerung des gesamten Systems. Es handelt sich hierbei um eine etwas zerquetschte Omegalage, wobei die Schweiz über mehrere Tage hinweg genau im Grenzbereich von Hoch- und Tiefdruckeinfluss in einer süd-südwestlichen Strömung steht. In diese Strömung sind Wellen eingelagert, die mal trockene Luft aus der Sahara, mal feuchte Luft vom Mittelmeer zu uns führt – und dies auch noch alternierend in verschiedenen Höhenschichten. Frontensysteme des abgetropften Tiefs erreichen uns erst ab Sonntag, daher ist ein genauer zeitlicher Ablauf noch nicht absehbar, zumal auch nicht klar ist, wann und mit welcher Geschwindigkeit sich das Tief nach Osten bewegen wird. Ursprünglich sollte die Warmluft heute Freitag ausgeräumt werden, dann war es mal der Sonntag, inzwischen wird’s wahrscheinlich Mittwoch, bis wirklich kühle Luftmassen zu uns gelangen. Man wird sehen…

Doch auch in der Kurzfrist sind die Unsicherheiten enorm. Labilität ist vorhanden, wenn auch nicht extrem. Energie ist sicher in Form von Wärme auch mehr als genug in der Luft, doch die Geister scheiden sich am Anteil der Feuchte, die für die Gewitterauslöse benötigt wird. Der Boden liefert nach den nassen Wochen und mit der in den Alpen starken Schneeschmelze sicher eine gute Basis. In den letzten Tagen haben wir aber gesehen, dass die trockenen Luftschichten weiter oben nur mit Mühe überwunden werden konnten. Das Ergebnis waren lokale „Hungertürme“, die allenfalls mal für kurze Zeit etwas Wasser ablassen konnten – für ordentliche Gewitter hat es noch kaum gereicht. Heute Freitag ist die Luft etwas feuchter, offenbar aber immer noch grenzwertig genug, um ganz unterschiedliche Ausprägungen zu modellieren. Hier zwei Beispiele für denselben Zeitpunkt heute Nachmittag:

Welches Schweinderl hätten S‘ denn gern? Als ob das noch nicht genug wäre, wird auch innerhalb eines Modells von Lauf zu Lauf munter rumgehüpft, man kann sich also ganz nach seinem Gusto alle 6 oder auch 3 Stunden seine Wunschgewitterprognose basteln, ganz nach dem Motto: Alles kann, nix muss. Klar ist einzig: Sollte sich tatsächlich mal ein ordentlicher Cluster bilden, wird’s mit Sturmböen und Hagel recht ungemütlich, und da die Verlagerungsgeschwindigkeit auch nicht allzu hoch ist, kann’s an einem Ort mal ordentliche Mengen schütten. Dank föhniger Effekte ist die Wahrscheinlichkeit im Osten höher, dass es bei Einzelzellen bleibt, die rasch wieder vertrocknen.

Am Samstag erreicht uns trockenere Saharaluft, auch wird es in der Höhe noch etwa ein Grad wärmer, sodass die Labilität vorübergehend etwas sinkt. Dabei wird auch eine ordentliche Portion Saharastaub über uns hinweg ziehen:

Auf dem Satellitenbild ist bereits jetzt zu erkennen (und auch die Modelle sehen es), dass mit dem Saharastaub auch viel hohes Gewölk zu uns verfrachtet wird. Also eher nix mit „dünnen Schleierwolken“, sondern zumindest zeitweise wenn nicht sogar über längere Strecken des Tages eingeschränkte Sonneneinstrahlung. Dies kann das Zünglein an der Waage spielen, wenn am Abend die Feuchte wieder zunimmt: Ist die bodennahe Luftschicht genug warm, um auch die nötige Labilität für Gewitterbildung zu liefern? Während die einen Modelle den ganzen Tag und auch noch den Abend trocken sehen, gibt es auch diese Variante:

Also auch hier: Alles kann, nix muss. Ja ich weiss: doof! Ist aber so. Da die Höhenströmung etwas an Fahrt aufnimmt, wären heftige Entwicklungen entlang der Voralpenschiene am wahrscheinlichsten, mit der zunehmenden Windscherung könnte auch etwas Organisiertes mit grösserem Hagel entstehen – doch wie erwähnt sind die Unsicherheitsfaktoren zu hoch um heute bereits sagen zu können, ob überhaupt etwas entsteht.

Ist denn wenigstens am Sonntag etwas mehr Klarheit zu erwarten, wenn ein erster (noch behutsamer) Luftmassenwechsel ansteht? Das amerikanische Modelle zeigt eine Kaltfront am Jura bereits in den Morgenstunden:

Ob das Teiltief über den Niederlanden, das uns diese Front bringen soll, überhaupt entsteht, ist allerdings auch nicht klar. Am deutlichsten wird das, wenn man sich die Temperatur-Ensembles für Sonntag anschaut:

Die Streuung von 12 Grad zwischen dem wärmsten und kältesten Member zeigt: Wir können noch bis am Abend in der heissen Luft verbleiben, die kühlere Luft kann aber auch bereits am frühen Morgen eintreffen, wahrscheinlich aber geschieht der Wechsel irgendwann im Tagesverlauf. Somit ist es auch völlig müssig, heute bereits über irgendwelche Auswirkungen spekulieren zu wollen.

Etwas gebündelter sehen die Ensembles an den Folgetagen aus: Offenbar sollen schrittweise kühlere Luftmassen aus Westen einfliessen, wobei sich diese im Tagesverlauf jeweils erwärmen – abhängig von der Sonneneinstrahlung. Womit wir bei der nächsten Unsicherheit wären: Der Grad der Labilität ist sowohl am Montag wie am Dienstag unklar. Potenzial für gröbere Gewitter hat die Luftmasse nach wie vor, ob es allerdings auch abgerufen wird? Am Mittwoch und Donnerstag tendiert der Charakter der Luftmasse dann allerdings schon eher in Richtung Aprilwetter, das wir ja aus dem vergangenen Mai zur Genüge kennen. Das inzwischen zu einem selbständigen Kaltlufttropfen mutierte Portugal-Tief soll sich über unseren Köpfen allmählich auffüllen, immerhin diesbezüglich gibt es in der Modellwelt keine allzu grossen Differenzen. Somit stehen ein paar kühlere Tage an, die man durchaus als verspätete Schafskälte bezeichnen kann. Um uns herum lagern allerdings so viele warme Luftmassen, dass die nächste Hitzewelle bloss eine Frage der Zeit ist. Bei der zunehmenden Erhaltungsneigung grossräumiger Zirkulationsmuster ist es gut möglich, dass sich der ganze Ablauf zehn Tage später so ähnlich wiederholt – und somit der nächste Spekulatius gebacken werden kann.

Sturm- und Kältevorschau 17.-24.05.2021

Spätwinterlicher Eindruck La Dôle im Waadtländer Jura, 27.05.2013

An den grauslich kalten und trüben Mai 2013 können sich wahrscheinlich die meisten von uns noch erinnern. Der Mai 2021 ist auf bestem Weg, dies in den Schatten zu stellen. Nach den aktuellen Aussichten wird er der kälteste Mai seit exakt 30 Jahren, und da wird es mit der Erinnerung bei einigen schon schwieriger. Noch länger zurück muss man in Sachen kältestes Doppelpack April/Mai zurückblättern, da wäre 1984 zu nennen, auch die 70er-Jahre hatten einige solche Kaliber im Programm. Wenn man zur Monatsmitte bereits mit relativer Sicherheit solche Vergleiche anstellen kann, dann muss die nordhemisphärische Zirkulation ziemlich kaputt und eingefahren sein. In der Tat gibt es aus dem aktuellen Muster so schnell keinen Ausweg. Und wir bekommen erneut nach 2018 vorgeführt, welche Spätfolgen ein Sudden Stratospheric Warming im Spätwinter mit entsprechender Polarwirbelschwächung oder -verschiebung nach sich ziehen kann – diesmal einfach ins andere Extrem.

So präsentiert sich die aktuelle Situation mit der grossräumigen Druck- und Windverteilung:

Wir sehen von Neufundland bis Südosteuropa nur Tiefdruckgebiete. Das Azorenhoch ist an seinem Stammplatz und dazwischen liegt eine stramme Westströmung derart auf die Alpen gerichtet, dass so mancher Herbst- oder Wintermonat vor Neid erblassen könnte. Stand heute und inkl. Prognose für die nächste Woche kommen wir in diesem Monat bereits auf 15 Tage des Grosswettertyps West plus drei Tage Tief Mitteleuropa. Das erstaunt, ist doch der Mai im Jahresverlauf derjenige Monat mit dem geringsten Anteil Westlagen (ca. 15 % in den letzten 30 Jahren). Was also ist die Ursache für diese aussergewöhnliche Zirkulation?

Wie die treue Leserschaft dieses Blogs längst weiss, sind starke Temperaturunterschiede auf kleinem Raum Antreiber für Tiefdruckentwicklungen. Schauen wir uns also mal die Verteilung der Temperaturanomalien des aktuellen Monats bis zum heutigen Tag an:

Es sieht immer noch gleich aus wie im April: Europa ist der nordhemisphärische Kältepol, während von Westrussland über Sibirien bis in die Arktis aussergewöhnliche Wärme vorherrscht, ebenso über dem Kanadischen Archipel. Über einen derart langen Zeitraum sind das bemerkenswerte Anomalien und ein weiteres Beispiel dafür, dass einmal eingefahrene Zirkulationsmuster immer persistenter werden. Erwärmt sich die Arktis, weicht die Kaltluft einfach irgendwo nach Süden aus und fühlt sich dort wohl – über dem Nordmeer wird sie auch nicht so schnell durch die Sonne aufgewärmt wie dies über einer Landmasse der Fall wäre. Folge ist über dem Atlantik und Europa eine nach Süden verschobene Frontalzone, wobei wir im Mai über den Subtropen ja bereits heisse Luftmassen in Hülle und Fülle haben – der Temperaturgegensatz ist gegeben und somit auch der Motor für Tiefdruckgebiete und starke Westwindzirkulation. Zu sehen ist dies am Beispiel einer Tiefdruckentwicklung in den nächsten Tagen über dem westlichen Nordatlantik:

Am Mittwoch liegt das frischgebackene Tief nördlich der Azoren und saugt Polarluft von Grönland her an (blauer Pfeil), während das Azorenhoch subtropische Luftmassen beisteuert (gelber Pfeil). Das Tief verstärkt sich somit weiter und zieht mit dem Jetstream nach Europa. Am Sonntag liegt es bereits über der Nordsee und ist für die spezielle Würze unseres Pfingstwetters zuständig:

Und wir sehen: Auf dem Nordatlantik steht schon das Nachfolgetief bereit, das wiederum Polarluft ansaugt und so weiter und so weiter… Da nützt es nichts, dass über der Sahara Backofenluft bereit steht: Der Tiefdruckkomplex ist zu mächtig und zu südlich, die warmen Luftmassen ziehen südlich der Alpen nach Osten und stützen das Hoch über Russland, das weiterhin Warmluft in die Arktis hochschaufelt: Ein immerwährender Teufelskreis, der noch wochenlang andauern kann, bis die Polarluft dann doch endlich von der Sonne und dem warmen Golfstrom weichgekocht wird.

Langer Rede kurzer Sinn: West- und Nordwestlagen werden uns noch eine Weile begleiten. Dabei ist es bei uns nicht nur kühl und häufig nass, sondern für die Jahreszeit auch aussergewöhnlich windig. Jedes knapp nördlich von uns durchziehende Tief steuert sein Westwindfeld genau über uns hinweg, so auch am Montag:

Die 75 km/h Mittelwind in 1400 m Höhe werden mit Unterstützung von Höhenkaltluft locker als Böen in die Niederungen gemischt, insbesondere in Begleitung von gewittrigen Schauern. Der Begriff „gewittrige Schauer“ wird hier ganz bewusst gewählt, denn von sommerlichen Gewittern sind wir in der kalten Luftmasse weit entfernt. Die Schneefallgrenze sinkt am Montagmorgen gegen 1000 m, Graupel ist auch weiter unten durchaus möglich. In diesem Stil geht das am Dienstag und Mittwoch weiter, wenn auch mit etwas weniger Wind. Bei Höchsttemperaturen von etwa 10-12 Grad am Mittwoch ist das aber auch nicht wirklich angenehmer.

Und dann kommt es: das Zwischenhoch am Donnerstag. Wobei am Morgen zuerst noch die Reste der letzten Kaltfront aus dem Osten der Schweiz verschwinden müssen, während am Nachmittag und Abend aus Westen bereits die Schleierwolken der nächsten Warmfront aufziehen. Dieses kurze Sonnenfenster und vor allem der windschwache Tag ist also mit Verstand zu geniessen. Denn am Freitag zieht zwar mal eine etwas wärmere Luftmasse über uns hinweg, wahrscheinlich ist es aber bereits wieder bedeckt und in der zweiten Tageshälfte setzt neuer Regen ein. Und danach kommt, was wir bereits kennen: West- bis Nordwestwind, Kälte, Regen, Pfingstwetter vom Feinsten eben…

Nein, ein toller Frühling wird das nicht mehr. Gut, dass am 1. Juni der meteorologische Sommer beginnt. Wobei: Dem Wetter wird’s wahrscheinlich egal sein…

Sturm-, Schnee- und Frostvorschau 05.-08.04.2021

Der letzte April-Schneefall ist erst zwei Jahre her: Muri bei Bern am 04.04.2019

Wenn die Klimaerhitzung sicht- und spürbar wird, dann ganz bestimmt an den immer früher auftretenden sehr warmen Witterungsabschnitten im Frühling. Traten die ersten frühsommerlichen Phasen mit Temperaturen über 20 Grad im letzten Jahrhundert meist im letzten April-Drittel auf (im Meteorologenjargon EAW = End-April-Wärme genannt), so haben sie sich in den letzten 15 Jahren immer häufiger nach vorne verschoben (2007, 2009, 2011, 2014, 2018, 2020) und in diesem Jahr war es also bereits Ende März so weit. Doch eines hat sich nicht verändert: Heftige Kälteeinbrüche mit Schnee und Frost kommen im April nach wie vor häufig vor, im Schnitt alle zwei Jahre. Die Vegetation steckte früher solche Spätfröste locker weg, weil sie meist erst danach in die kritische Blühpase eintrat. Mit den immer milderen Wintern und früheren Wärmephasen blüht es aber heute im Schnitt zwei Wochen früher – meist genau dann, wenn sich der obligate Kälteausbruch aus der Arktis zu uns auf den Weg macht. Dies ist auch 2021 wieder der Fall.

Schauen wir uns die grossräumige Druckverteilung und Windströmungen in rund 5000 m Höhe am Ostermontag an:

Zwischen einem kräftigen, meridional ausgerichteten Hoch über dem Nordatlantik und einem umfangreichen Tiefdrucksystem über Skandinavien stellt sich eine starke Nord- bis Nordwestströmung ein, die genau von Grönland nach Mitteleuropa gerichtet ist. Die frühsommerliche Luftmasse wurde bereits am Karfreitag durch gemässigte Polarluft ersetzt, nun folgt als nächste Stufe arktische Kaltluft – die kältestmögliche Luftmasse, die uns zu dieser Jahreszeit erreichen kann. Dies auch, weil die Temperaturen in Grönland in den letzten Tagen aussergewöhnlich tief waren: Mit -63.9 °C wurde an der Station Summit auf dem grönländischen Eisschild in 3200 m Höhe ein neuer Rekord für das letzte Märzdrittel gemessen.

Der Ostermontag beginnt freundlich, trotz zunehmenden Schleierwolken zeigt sich zunächst noch häufig die Sonne. Der Westwind beginnt auf den Bergen bereits am Vormittag anzuziehen, ab Mittag wird er auch im Flachland deutlich spürbar:

Die maximale Böigkeit wird kurz vor dem Eintreffen der Kaltfront am späten Nachmittag erreicht. Da es sich dabei nicht wie gewohnt um Südwest- sondern Westwind handelt, ist durch Kanalisierungseffekte mit den stärksten Böen entlang des Hochrheins bis zum Bodensee zu rechnen, hier dürften vielerorts Böen um 80 km/h erreicht werden. Das gilt natürlich auch für die erhöhten und exponierten Lagen des Mittellands und etwas später für die Engstellen an den Eingängen zu den Alpentälern. Alles in allem kein extremer Sturm, aber für die Jahreszeit doch bemerkenswert.

An der Kaltfront ist die Labiliät wahrscheinlich knapp nicht ausreichend für Gewitter, denn die Höhenkaltluft hinkt der Bodenkaltluft ein wenig hinterher. Ausschliessen kann man vereinzelte Blitze trotzdem nicht, denn die durch Turbulenzen verursachte zusätzliche Hebung kann die fehlende Labilität teilweise wettmachen. Markant wird der Temperatursturz an der Kaltfront von 10-12 Grad innerhalb kurzer Zeit mit dem Windsprung auf Nordwest sein, und damit sinkt die potenzielle Schneefallgrenze am Abend bis in die tiefsten Lagen. Potenziell deshalb, weil es hinter der Front im Flachland rasch trocken wird. Vielleicht fällt noch kurz etwas Schnee, der aber aufgrund der warmen Böden kaum lange liegenbleiben wird. Anders sieht es in leicht erhöhten Lagen im Nordstau der Alpen aus: Hier schneit es bis weit in die Nacht hinein, sodass etwa im Zürcher Oberland, im Entlebuch und Emmental ein paar Zentimeter bis Dienstagmorgen überleben werden, weiter oben an den Voralpen und in den Alpentälern sowieso.

Dienstag und Mittwoch stehen dann ganz im Zeichen spätwinterlichen Rückseitenwetters mit starkem Nordwind in den Bergen, stürmischem Nordföhn auf der Alpensüdseite und immer wieder Schnee- und Graupelschauern bis ganz runter. Auch hier gilt: Tagsüber ist es in den Niederungen zu warm, als dass der Schnee länger liebenbleiben kann, ab etwa 600 m aufwärts ist aber mit stetigem Neuschneezuwachs zu rechnen, der in den Bergen für die Jahreszeit durchaus beträchtlich ausfallen wird. Die kälteste Höhenluft mit unter -40° in 500 hPa erreicht uns am Mittwoch, dann dürfte die Labilität auch für Schnee- und Graupelgewitter ausreichen. Zur Veranschaulichung hier der Weg, den die Luftmasse in diesen Tagen zurücklegt:

In der Nacht auf Donnerstag schiebt sich von Westen her ein Hochdruckkeil zur Alpennordseite und löst die Wolken auf. Mit dem Aufklaren werden derzeit Tiefstwerte im Flachland verbreitet um -2 bis -4 Grad gerechnet, in Muldenlagen dürfte es wohl noch einiges tiefer gehen, in Bodennähe sowieso. Am Donnerstag wird es zwar sonnig, die eingeflossene Kaltluft erwärmt sich aber nur langsam. Erst am Freitag soll aus Westen etwas mildere Luft einfliessen, die Nacht auf Freitag wird aber wahrscheinlich noch mal frostig.

In der Folge soll sich das Temperaturniveau auf etwa jahreszeit-üblichen Werten einpendeln, natürlich mit den entsprechenden Unsicherheiten:

Und zum Schluss noch die Ironie der Geschichte: Wenn die gesamte arktische Kaltluftmasse nach Süden ausbricht, entsteht ein Vakuum, das aufgefüllt werden muss, und das kann am Nordpol nur aus südlicher Richtung geschehen – die Kaltluft wird also durch wärmere Luft ersetzt. Das geschieht von zwei Seiten: In Grönland vom amerikanischen Kontinent her, nördlich von Europa von Südrussland her. Und schon ist es dort oben für die Jahreszeit aussergewöhnlich warm – so warm, dass sogar die Skala gesprengt wird (min. 20 Grad über der Klimanorm):

Das extreme Auf und Ab der Temperaturen ist also nicht nur ein Einzelschicksal Mitteleuropas…

Sturmvorschau 11.-16.03.2021

Sturmopfer auf der Alp Ergeten im Tössbergland, Folge des Sturms „Niklas“ am 31.03.2015

Nach einer aussergewöhnlich ruhigen Wintersturmsaison tut sich jetzt zu einem recht späten Zeitpunkt doch noch was. Zwar sind auch die anstehenden Stürme nicht vergleichbar mit den schadbringenden Expemplaren etwa aus dem Februar 2020, der ungewöhnliche Zeitpunkt und die Entstehungsgeschichte scheinen aber dennoch eine nähere Betrachtung wert. Und es kann auch nicht schaden, diesem Blog nach Wochen bzw. Monaten der Ereignislosigkeit wieder etwas Leben einzuhauchen – und sei es nur um in Erinnerung zu rufen, dass es ihn immer noch gibt 😉

Nach dem üblichen Weihnachtstauwetter und dem Auftreten einer plötzlichen Stratosphärenerwärmung mit erheblicher Störung des Polarwirbels zum Jahreswechsel ging in Sachen Weststüme in Europa gleich gar nichts mehr. Umso erstaunlicher ist, dass jetzt, wo wir auf das statistisch jahreszeitliche Minimum von Westlagen zusteuern, Mitte März noch ein klassischer Wintersturm auftritt. So präsentiert sich die aktuelle Lage mit Druckverteilung und Windströmung in rund 5000 m Höhe:

Ein starkes Westwindband zielt von Nordamerika her über den Atlantik genau auf Mitteleuropa zu und bestimmt unser Wetter in den nächsten fünf Tagen. Nachhaltig ist diese Westlage nicht, denn dazu ist das Zirkulationsmuster gesamthemisphärisch betrachtet zu meridional, was im Frühling auch völlig normal ist. Daher mag es paradox erscheinen, dass ausgerechnet eine meridionale Zirkulationsform späte Weststürme hervorbringt. Rufen wir uns in Erinnerung, was die Tiefdruckentwicklung ankurbelt: Extreme Temperaturdifferenzen auf engem Raum. Verfolgen wir das jetzt uns besuchende Tief bis zu seiner Entstehung zurück, dann finden wir dies:

Am vergangenen Wochende herrschte über den Oststaaten der USA eine stramme Nordlage, die arktische Luftmassen bis nach Florida brachten, wo sie auf den warmen Golfstrom trafen – und prompt entstand dort an der Luftmassengrenze ein kleines Tief, das sich in den letzten Tagen zu unserem Sturmtief über dem Nordatlantik entwickeln konnte. Natürlich braucht es dann auch noch einen einigermassen gesunden Jetstream, der die ganze Geschichte nach Europa transportiert. Fast identisch war übrigens die Wetterlage und Entstehungsgeschichte des Sturms am 31. März 2015, der vor allem in den Voralpen erhebliche Schäden hinterliess. Ganz so schlimm wird es diesmal aber nicht…

Heute nimmt im Warmsektor der Südwest- bis Westwind allmählich zu, lokal kann es im Mittelland bereits zu Sturmböen kommen. Das Maximum ist mit der Kaltfront zu erwarten. Diese erreicht die Nordwestschweiz am späten Nachmittag und rauscht dann bis zum Abend zügig über die gesamte Alpennordseite hinweg. Dabei ist verbreitet im Flachland mit Böen von 60 bis 80 km/h zu rechnen. An etwas erhöhten Stellen sowie an Orten mit Kanalisationseffekten wie z.B. am Hochrhein oder am Jurasüdfuss sowie an den Eingängen zu den Alpentälern sind auch 100 km/h möglich, auf den Jura- und Voralpengipfeln 130 km/h. Dies entspricht einem Sturm, der in dieser Stärke alljährlich auftritt, allerdings selten so spät in der Saison. Begleitet wird er von kräftigen Schauern, die Schneefallgrenze sinkt rasch von 2000 auf 1000 Meter. Auch wenn einzelne Modelle die Möglichkeit anzeigen: Für Blitz und Donner ist die Labilität wahrscheinlich knapp nicht ausreichend, die Höhenkaltluft hängt der Bodenkaltfront etwas hinterher.

Genügend Labilität für Graupelschauer und Gewitter wäre theoretisch am Freitag vorhanden, allerdings scheint die Luft zu trocken – so kommt es wohl nur einzelnen und wenig ergiebigen Schauern mit einer Schneefallgrenze um 700 m. Dazu bleibt es windig.

Die nächste Kaltfront mit Sturm steht am Samstag an:

GFS ist recht zurückhaltend, was das Übergreifen und die Stärke auf der Alpennordseite betrifft. ICON ist da wesentlich progressiver, sodass man zumindest damit rechnen muss, dass der Sturm am Samstag gleich stark oder vielleicht sogar etwas stärker ausfällt als jener vom Donnerstag. Sicher abschätzen kann man das aber erst zeitnah, man beachte diesbezüglich die Kurzwetterberichte auf meteoradar.ch

Sicher ist hingegen, dass diese Kaltfront noch kühlere Luft bringt und die Schneefallgrenze in der Nacht auf Sonntag auf etwa 500 m sinkt. Die kälteste Luftmasse ist dann am Sonntag tagsüber bei uns, mit ordentlich Höhenkaltluft wie noch selten im vergangenen Winter ist mit Schnee- und Graupelschauern zu rechnen, auch Gewitter sind nicht ausgeschlossen. Dabei können auch lokal noch mal Sturmböen auftreten.

ICON zeigt einen weiteren Sturm in der Nacht auf Montag bzw. Montagmorgen, GFS will davon allerdings nichts wissen bzw. zeigt nur gemässigt starken Wind mit Schneefall bis in die Niederungen. Jedenfalls ist im Berufsverkehr mit winterlichen Strassenverhältnissen zu rechnen. Stürmisch wird es am Montag aber mit Sicherheit in den Alpen bzw. auf der Alpensüdseite mit ordentlich Nordföhn.

Die Modelle sind sich bezüglich einer recht kalten Nordlage nächste Woche inzwischen einig, Fragen gibt es allerdings noch bezüglich trocken oder nass. Auf jeden Fall bleiben Frühlingsgefühle bei mässigen Nachtfrösten und Tagestemperaturen nur wenig über dem Gefrierpunkt mal für eine Weile aussen vor…

Sturmvorschau 24.-28.12.2020

So könnte es am 26.12. aussehen – dem möglicherweise kältesten Morgen des Jahres 2020

Zugegeben, es gab schon heftigere Stürme als das, was uns bevorsteht. Doch angesichts der aktuellen Lage und den Plänen vieler Familien, Weihnachten aus bestens bekannten Gründen dieses Jahr im Freien oder sogar im Wald feiern zu wollen, soll doch auf gewisse Risiken aufmerksam gemacht werden. Zudem ist die Wetterlage durchaus interessant, dringt doch zufälligerweise genau zu Weihnachten Kaltluft aus Norden zu uns, in einem Monat, der sonst von südlichen Wetterlagen geprägt ist. So handelt es sich bei diesem Wintereinbruch denn auch nur um ein kurzes Gastspiel.

Wenn die Wetterlage kurzfristig so extrem auf den Kopf gestellt wird, so sind die Gründe dafür doch immer wieder interessant:

Der relativ kleine, aber sehr effektive Kaltluftausbruch direkt vom Nordpol bis zu uns ist nur möglich, weil sich über dem Nordatlantik, wo in den letzten Wochen permanent Tiefdruck herrschte, sich genau jetzt ein kräftiges Hoch aufplustert. Dieses wiederum entsteht als Folge eines anderen scharfen Kaltluftausbruchs aus der kanadischen Arktis in Richtung Neufundland. Das dort aufgrund des markanten Temperaturunterschiedes entstehende Tief führt karibische Warmluft weit nach Norden und schon werden die Druckverhältnisse im Nordatlantik ins Gegenteil verkehrt: Die Grosswetterlage in Europa wechselt abrupt von Südwest auf Nordwest bis Nord. Sobald der Warmluftstrom von der Karibik abreisst und die kanadische Kaltluft über dem Nordatlantik ihren Platz beansprucht, wird die „alte Ordnung“ des Winters 2020/21 wieder hergestellt und der nächste Atlantiktrog wird geboren.

Bereits in der Nacht zum 24. Dezember wird die wärmste derzeit über uns liegende Warmluft verdrängt, mit einer Kaltfront sinkt die Schneefallgrenze schon mal von über 2000 auf etwa 1200 Meter. Dank des kräftigen Südwestwinds bleibt die Abkühlung in den Niederungen aber noch moderat, womit wir beim eigentlichen Thema wären:

Aufgrund der Druckverhältnisse sind die stärksten Böen auf den Jurahöhen am Donnerstagmorgen zu erwarten, während Tageserwärmung und Durchmischung das Durchgreifen von Sturmböen bis in die Niederungen eher erst gegen Mittag den Höhepunkt erreichen dürfte, wenn der Regen mal pausiert. Die Modelle streuen noch stark, die stärkste Variante geht von verbreitet 50-60 km/h Böen in den Niederungen aus, in exponierten und hügeligen Lagen des Mittellands und der Nordschweiz sind bis zu 80 km/h möglich, auf den Jurahöhen etwa 100 km/h. Die gute Nachricht für alle, die am Abend draussen feiern möchten: Zumindest der Wind lässt in der zweiten Tageshälfte deutlich nach. Wetterfest anziehen muss man sich trotzdem, denn in den Abendstunden dreht der Wind auf Nordwest und die Temperatur sinkt spürbar, ebenso die Schneefallgrenze. In den Abendstunden wird der Regen von Nordwesten her oberhalb von 500 Meter in Schneefall übergehen. Bis es nach ganz unten für Schneeflocken reicht, muss man sich wahrscheinlich bis nach Mitternacht gedulden.

Am Morgen des 25. dürfte ausser in den tiefsten Lagen und in den warmen Städten wohl überall ein bisschen Schnee liegen. Die Luft trocknet im Tagesverlauf allmählich ab, im Flachland sind wohl nur noch kurze und eher unergiebige Schneeschauer zu erwarten, während am Alpennordhang bis zum Abend gut und gerne noch mal 10-20 cm Neuschnee zusammenkommen. In den Alpen herrscht jetzt starker Nordwind, der sich mit stürmischen Böen als Nordföhn in den Südtälern bemerkbar macht. Dort wird es denn auch im Lauf des Tages rasch sonniger.

Der 26. Dezember steht unter zunehmendem Zwischenhocheinfluss mit einer Divergenz genau über der Alpennordseite: Im Osten fliesst die Kaltluft nach Osten ab, in der Westschweiz herrscht Bise. Klart es bereits in der Nacht auf, dürfte der Morgen des 26. in den westlichen Landesteilen die Tiefsttemperatur des ganzen Jahres liefern, im Osten ist das wohl erst in der Nacht zum 27. der Fall – vorausgesetzt die Wolken des nächsten Tiefs halten sich in der Nacht noch zurück.

Ab Sonntag stellt sich wieder jene Wetterlage ein, die uns von Anfang Dezember bestens bekannt ist: Ein kräftiges und nahezu stationäres Tief über den Britischen Inseln sorgt für einen Föhnsturm in den Alpen, im Westen und Süden setzt am Abend bereits wieder Niederschlag ein, der sich im Lauf des Montags allmählich auch in die Deutschweiz voran arbeitet. Die um das Tief herumgeholte, vom Atlantik aufgewärmte Polarluft macht immer noch dasselbe wie Anfang Dezember: Es pflotscht in den Niederungen beidseits der Alpen. Am Alpensüdhang ist bis Mittwoch mit mindestens 100 mm Niederschlag zu rechnen, also weit über einen Meter Neuschnee in höheren Lagen. Wie das nördlich des Alpenhauptkamms aussehen wird, muss noch etwas abgewartet werden. Die genaue Position des Tiefs wird darüber bestimmen, wie stark die Föhneffekte sind und wie viel Feuchte aus Süden über die Alpen gelangen kann.

Wir danken für das Interesse im zu Ende gehenden Jahr, wünschen allen trotz den schwierigen Umständen schöne und besinnliche Festtage, guten Rutsch und vor allem: Bleibt gesund!

Gewittervorschau 13.-19.08.2020

Starkes Gewitter nördlich von Bern mit nassem Downburst (97 km/h an der Messstation Zollikofen), am 12.08.2020

Eine Frage drängt sich Mitte August immer auf: Verabschiedet sich der Hochsommer mit Getöse und endgültig, oder schleicht er sich heimlich davon, um dann vielleicht doch durch die Hintertür noch mal vorbeizuschauen, wie in den letzten Jahren öfters vorgekommen? Derzeit macht es den Eindruck, als würde er des Hauses verwiesen, sich aber mit diesem Verdikt nicht zufrieden geben und unter Protest und Krawall noch mal Einlass erzwingen zu wollen. Kurzum: Bis in die nächste Woche und vielleicht noch darüber hinaus bleibt es in der Wetterküche spannend. Die Zutaten für ordentliche Gewitterlagen sind jedenfalls noch lange nicht Mangelware und versprechen noch einige Überraschungen – ob man solche mag oder nicht, sei jedem selbst überlassen.

Die Ausgangslage zeigt die seit Tagen flache Druckverteilung über fast ganz Europa. Was gegenüber den letzten Tagen ändert, ist die Abschwächung und gleichzeitige Verdrängung des Höhenrückens, der noch häufig als Deckel für die Gewitterentwicklung im Flachland gewirkt hat, nach Osten:

Das vor der Biskaya liegende Tief verstärkt sich in den kommenden Tagen nach und nach, womit ein schleichender Umbau der Grosswetterlage stattfindet und wahrscheinlich in eine längere GWL „Südwest zyklonal“ mündet. So lange sich dieses Tief nicht weiter nach Osten bewegt, verbleiben wir im wechselhaften Bereich zwischen sehr warmer Subtropikluft aus südlichen Richtungen und zeitweise westlich und südlich um das Tief herumgeführter, erwärmter Polarluft. Wie so oft bei solchen Lagen können geringe Verschiebungen der Druckzentren darüber entscheiden, ob wir mehr Warm- und Kaltluft abbekommen, entsprechend ist die nachfolgende Prognose eine Momentaufnahme und nicht in Stein gemeisselt – tageweise Verschiebungen der Witterungsabläufe sind einzuplanen.

Für heute Donnerstag kann man noch mal mit einem ähnlichen Verlauf wie am Vortag rechnen: Zwar ist es nicht mehr ganz so heiss, aber nach wie vor schwül. Durch die Abschwächung des Höhenrückens wird die Sonneneinstrahlung durch mehr Wolkenfelder und somit die Erwärmung der bodennahen Luftschicht etwas gebremst, was aber durch etwas kältere Höhenluft wettgemacht wird: Die Labilität ist nach wie vor sehr hoch. Ab Mittag geht es somit wieder los mit ersten, vorerst lokalen Schauern und Gewittern im Bergland. Für den Abend wird aus Westen mehr Aktivität modelliert, wenn auch zeitlich und von der Intensität alles Andere als einheitlich. Ein ähnlicher Ablauf wie gestern ist einzuplanen, es besteht also wieder das Potenzial sehr plötzlich entwickelnder Starkgewitterzellen, die sich je nach sich zufällig ergebenden Bodenkonvergenzen mehr oder weniger gut organisieren können. Hauptgefahr bleibt dabei der Starkregen und lokal auftretende „wet downbursts“, also durch starke Niederschlagsabkühlung sich am Boden vom Gewitter weg ausbreitende Sturmböen. Dichter Hagel ist als Begleiterscheinung möglich, dürfte aber von der Korngrösse her eher im kleineren Bereich bleiben.

In der zweiten Nachthälfte bzw. am Freitagmorgen zieht eine schwache Kaltfront durch und verdrängt die schwül-warme Luft aus dem Mittelland:

Das geht möglicherweise mit etwas flächigerem Regen mit eingelagerten Gewittern einher – dass es dabei aber überall nass wird, ist nicht garantiert. Die rückseitige Labilität sorgt tagsüber noch für einige Schauer, und wo sich inneralpin Warmluftreste halten konnten, ist auch noch mal mit dem einen oder anderen Gewitter zu rechnen. Zum Abend sollte es aber weitgehend trocken werden.

Zum Wochenende wölbt sich der Höhenrücken genau über der Schweiz noch mal etwas auf und sorgt für eine ruhigere Phase:

Die Labilität wäre zwar ausreichend für Gewitter, am Samstag sollte der Deckel aber weitgehend halten. Ein paar Entwicklungen in den Bergen sind zwar möglich, sollten sich aber lokal begrenzen und eher von kurzer Dauer sein. Am Sonntag wird es dann bereits wieder heiss genug, um den Deckel etwas häufiger zu durchbrechen. Vor allem zum Abend hin steigt das Gewitterpotenzial an, das muss man aber zeitnah genauer betrachten.

Am Montag steht die nächste Kaltfront an:

Hier wird die Gewitteraktivität vor allem vom tageszeitlichen Eintreffen abhängen, das auf diese Zeitspanne noch nicht festgelegt werden kann. Kommt die Front in den frühen Morgenstunden, wird es etwa ähnlich harmlos ablaufen wie am Freitag (die beteiligten Luftmassen vor und nach der Front sind dieselben). Sollte es aber eine Verzögerung in den Tag geben, sodass die Sonne vor der Front noch lange genug aufheizen kann, ist Unwetterpotenzial gegeben.

Für Dienstag und Mittwoch wird es unsicher. Das amerikanische Modell lässt das Höhentief genau über die Schweiz ziehen, womit schon fast Aprilwettercharakter auftritt: Kühl, wechselhaft und schaueranfällig, wobei die Höhenkaltluft Labilität für Gewitter liefern könnte. Die anderen Modelle lassen das Tief weiter nördlich ziehen, womit der Alpenraum in höherem Geopotenzial und wärmerer Höhenluft verbleiben würde. Das Resultat wäre spätsommerlich temperiertes Wetter mit wahrscheinlich nur lokalen Schauern und Gewittern. Diese Unsicherheit zeigt sich auch im GFS-Ensemble, wo der Hauptlauf die kälteren Lösungen vertritt – auch was die nachfolgende Erholung betrifft: trocken-kühl oder trocken-warm bis sogar wieder heiss?

Man sieht: Die Frage, ob sich der Hochsommer nächste Woche geschlagen gibt, lässt sich noch nicht beantworten.

28.7.2020: Ausbruch von Superzellen?

Blick von Sellenbüren in Richtung SW auf eine der zahlreichen Superzellen des Tages

Nein, Superzellen haben nichts mit Superspreader zu tun, und noch viel weniger mit Superviren. Superzellen sind eine spezielle Klasse von Gewittern, nämlich solche, bei welchen der Aufwind rotiert. Dieser rotierende Aufwind wird auch als „Mesozyklone“ (oder „Mesoantizyklone“) bezeichnet, je nach dem Drehsinn der Rotation (im Gegenuhrzeigersinn bei den Mesozyklonen). Superzellengewitter sind gefürchtet, weil sie gerne von Hagel, Sturmböen, Sturzfluten und Tornados begleitet sind. In der Schweiz sind Superzellen in den letzten Jahren, mindestens nördlich der Alpen, seltener geworden. Das hängt mit der Stärke des Höhenjets im mäandrierenden Westwindgürtel der mittleren Breiten zusammen. Wird der Höhenjet schwächer (als Folge der Klimaerwärmung), dann werden die Scherzonen seltener, welche für den Aufbau von Rotation in der Aufwindzone von Gewitterzellen nötig sind.

Ganz im Gegensatz zum beschriebenen Trend der letzten Jahre war der Hochsommer 2020 bislang durch eine länger dauernde und nur schwach mäandrierende Westwindströmung geprägt. In dieser Strömung eingebettet sind in den letzten Wochen eine Serie von Kurzwellentrögen schleifend vorbeigezogen. Der Höhenjet des letzten Troges hat den Alpenraum am 28.7.2020 jedoch voll erfasst. Vom Boden bis in 3 km Höhe nahm die Windstärke um über 60 km/h zu. Dadurch entstand eine ideale Scherung für den Aufbau von rotierenden Aufwinden und von Superzellen. Ab dem Mittag bis weit in die Nacht bildeten sich vor allem in der Ostschweiz und den Alpen entlang eine Vielzahl von Gewitterzellen, welche rasch nordostwärts und ostwärts weiterzogen und vielerorts für heftige Hagelschläge sorgten. Der von Christian Matthys im Sturmforum bereitgestellte Radarloop vom 28.7.2020 (vielen Dank!) gibt einen guten Überblick über das Geschehen während der 14-stündigen Gewitterperiode.

Aber waren die zahlreichen Gewitterzellen dieses Tages auch Superzellen?
Über diese Frage wurde im Sturmforum bereits ausgiebig diskutiert. Vortex-Signaturen von Dopplerwindmessungen in mittleren Höhen (typischerweise 5 km) könnten die Existenz von Mesozyklonen belegen. Solche Daten sind leider nicht verfügbar, der Feldberg-Radar als mögliche Datenquelle ist zu weit weg. Aus diesem Grund behelfen wir uns mit einer Analyse des Umgebungswindes. Für diese stark vereinfachte Betrachtung nutzen wir die Erfahrung, dass die Geschwindigkeit von Gewitterzellen etwa der Windgeschwindigkeit in 3 km Höhe (700 hPa) entspricht. In niedrigen Höhen ist die Windstärke in der Regel geringer, also kriegt die Gewitterzelle ihr „Futter“ (= energiereiche Bodenluft) aus einer Schicht vom Boden bis ca. 3 km Höhe. Rotiert die einfliessende bodennahe Luftschicht (der Fachmann spricht von „streamwise Vorticity“), dann wird die Rotationsachse von der Horizontalen in die Vertikale gekippt, und die einfliessende Luft wird als Mesozyklone (= rotierender Aufwind) zum Zentrum der Gewitterzelle.

Werte von über 150 m2s-2 der sog. „storm-relative“ Helicity (auch „SREH“ genannt) sind ein guter Indikator für Mesozyklonen. Diese Grösse kann aus dem Vertikalprofil (0 – 3 km Höhe) des Horizontalwindes und dem Bewegungsvektor der Gewitterzellen ermittelt werden. Das entscheidende Hilfsmittel hierzu ist der Hodograph: eine Darstellung, in welcher die Vektorspitzen der Windvektoren und des Bewegungsvektors der Gewitterzelle mit einer Linie verbunden werden. Die dabei umschlossene Fläche, multipliziert mit dem Faktor 2, ergibt dann die SREH.

Wir haben die Zugrichtung und die Zuggeschwindigkeit von neun besonders langlebigen (> 60 min) Gewitterzellen ausgewertet. Die Zugbahnen sind in der folgenden Abbildung eingetragen. Es zeigt sich ein für solche Wetterlagen typisches bimodales Muster der Bewegungsrichtung. Dementsprechend können die neun Zellen in 5 „Rechtsläufer“ („right mover“) und 4 „Linksläufer“ („left mover“) aufgeteilt werden.

Die Zugbanen von 9 besonders langlebigen Gewitterzellen, 5 „right mover“ (rot) und 4 „left mover“ (gelb).

Und dies sind die Mittelwerte der Bewegungsvektoren (Azimuth 0 Grad bedeutet Bewegung in nördliche Richtung, 90 Grad in östliche Richtung usf.):

Right mover (Mittelwerte von 5 Zellen)
Azimuth/Geschwindigkeit:  95 Grad/56 km/h

Left mover (Mittelwerte von 4 Zellen)
Azimuth/Geschwindigkeit:  63 Grad/64 km/h

Zur Charakterisierung des Umgebungswindes in der freien Atmosphäre verwenden wir die Radiosondierungen von Payerne, wohl wissend, dass eine detaillierte Analyse der lokalen Windverhältnisse den Rahmen dieses Blogbeitrages bei weitem sprengen würde. Der Einfachheit halber werten wir nur die Höhenlevel Boden, 700 hPa und 500 hPa aus. Für eine umfassende grafische Darstellung der Sondierungsdaten (inkl. Hodographen) verweisen wir auf die Auswertungen von Bernhard Oker.

Die folgenden Diagramme zeigen die Wind-Hodographen (blaue Linie) der Payerne-Sondierungen vom Mittag des 28.7. und der kommenden Nacht. Die mittleren Bewegungsvektoren der Gewitterzellen sind mit blauen Kreuzen markiert. Die Berechnung der SREH führt zu einem klaren Resultat:
nur die Rechtsläufer haben „superzellenfördernde“ Werte der SREH von über 150 m2s-2.

Entscheidend für die Umsetzung einer hohen Windscherung in eine hohe SREH ist eine erhebliche Abweichung der Bewegungsrichtung einer Gewitterzelle von der Windrichtung in 700 hPa.

Dies ist eine einfache Regel, welche rasch und unkompliziert geprüft werden kann, sobald die Bewegungsrichtung einer Gewitterzelle klar erkennbar ist. Zusammengefasst bedeutet dies, dass am 28.7.2020 nur die Rechtsläufer mit guter Gewissheit als Superzellen angesehen werden können.

Wind-Hodograph des Payerne-Sondierungen vom 28.7.2020 12z und 29.7.2020 00z. Zusätzlich sind die gemittelten Bewegungsvektoren der right-mover und left-mover eingetragen. Aus den farbigen Flächen wurde die SREH berechnet. Die SREH der right-mover entspricht selbstversändlich der roten + der orangenen Fläche.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bei den Linksläufern ist zumindest ein Fragezeichen zu setzen. Beim Betrachten der Zugbahnen der 9 untersuchten Gewitterzellen (siehe oben) fällt auf, dass die Linksläufer bis auf eine Ausnahme entlang der Voralpen entstanden sind. Es wäre denkbar, dass die Payerne-Sondierung die Windverhältnisse in den Voralpen nicht realistisch wiedergibt, dass, zum Beispiel, der Wind in 700 hPa mehr aus nördlicher Richtung in die Zellen einfliesst und die SREH höher ist als berechnet. Die Windmessung auf dem Titlis (3100müM) spricht eher dagegen. Bis ca. 16 Uhr stimmt die Windrichtung gut mit der Payerne-Sondierung überein. Danach dreht zwar der Wind stufenweise etwas mehr in westliche Richtung, aber der Titlis war nach 16 Uhr voll im Einfluss durchziehender Gewitterzellen. Die Winddrehung könnte sich outflowbedingt geändert haben, zudem kann das Gelände die Windmessung beeinflussen.

In einer Studie  von Houze et al. (1993) wurden die Linksläufer im Alpenraum im Detail untersucht. Dabei wurde die folgende Schlussfolgerung gezogen:

„However, the left-moving members of the splits are not similar to … . They are not ordinary cells, nor are they classic supercells, but rather of some intermediary structure.“

Ob Superzelle oder nicht – Fact ist, dass die Linksläufer am 28.7.2020 den Rechtsläufern betr. Stärke und Lebensdauer ebenbürtig waren. Auch grosser Hagel konnte den Linksläufern zugeordnet werden. Linksläufer können also genauso gefährlich sein wie die Rechtsläufer, welche hierzulande in der Regel die grössten Alphatiere im Haifischbecken der Gewitterzellen hervorbringen. Die Frage ob Superzelle oder nicht ist, im Hinblick auf Hagel, Starkniederschlag oder Sturmböen, eher von untergeordneter Bedeutung. Dies gilt aber nicht im Hinblick auf das Tornadorisiko. Hohe Werte der SREH weisen auf ein erhebliches Tornadorisiko hin, und dieses Risiko scheint den Rechtsläufern vorbehalten. In der Tat können nordhemisphärenweit nur sehr wenige Tornadoereignisse den Linksläufern zugeordnet werden.

Zurück zur Titel: dieser sollte korrekterweise in „Ausbruch von rechtsziehenden Superzellen“ abgeändert werden.

 

 

 

 

 

Gewittervorschau 31.07.-06.08.2020

Aufziehendes Gewitter am 01.08.2012 über dem Gurten bei Bern

Zwar schauen wir im Rahmen dieses Blogs wie gewohnt auf eine ganze Woche, doch das Hauptaugenmerk richtet sich diesmal auf den Bundesfeiertag. Wenngleich kaum grössere Feiern und Feuerwerke stattfinden, so ist doch mit vielen Zuhausegebliebenen das Interesse am Wetter während der zahlreichen privaten Aktivitäten gross. Wir können es vorweg nehmen: Die privaten Feuerwerke werden wahrscheinlich vielerorts Konkurrenz von oben bekommen. Die Lage ist allerdings synoptisch komplex und derart vertrackt, dass die Modelle vogelwild herumrechnen. Daraus eine konkrete Prognose zu basteln, ist nicht ganz einfach…

Doch gehen wir Reihe nach. Die Ausgangslage zeigt eine schwaches Hoch über Mitteleuropa, das sich am Samstag allmählich verabschiedet und zunehmend einem Trog über Westeuropa den Einfluss überlässt:

Am Freitag liegt der Höhenrücken genau über der Schweiz und deckelt daher die meisten Entwicklungen. Lokale Auslöse ist nur orgraphisch unterstützt dort möglich, wo die Bodenheizfläche sehr hoch liegt, also in den Alpen. Die Gewitter werden allerdings nicht so gehäuft und kräftig auftreten wie noch am Donnerstagabend – manche Modelle lassen es sogar gänzlich trocken, woran die Erfahrung aus früheren Jahren mit sehr heissen Tagen jedoch zweifeln lässt. Feuchte und Energie ist dort jedenfalls genug vorhanden, das zeigten die Wolkenfelder heute Morgen an. Wahrscheinlich entstehen verstreut einige kurzlebige Schauer, von denen auch mal der Eine oder Andere elektrisch werden kann. Allerdings ist auch nicht völlig ausgeschlossen, dass irgendwo durch zufällige Konvergenzen der Deckel durchbrochen wird und ein einzelnes, kräftiges Gewitter entsteht.

Kommen wir nun zur Komplexität der Wetterlage am 1. August 2020. Die vorhandene Luftmasse ist heiss und sehr energiereich, zudem wird sie in mittleren Höhen bereits im Lauf des Morgens stark angefeuchtet. Die Modelle sind diesbezüglich noch stumm, aber bei solchen Voraussetzungen braucht es für Morgenkonvektion nur wenig – es sei hier vorsichtshalber einfach erwähnt. (Nachtrag: Doch, der neueste Cosmo-Lauf deutet jetzt etwas an). Jedenfalls sollte man sich von den tagelang geschürten Vorstellungen eines sonnigen, heissen und trockenen 1. August verabschieden – übrig bleibt davon nur: heiss. Hinzu kommt: schwül. Einen angenehmen Sommertag stellt man sich gemeinhin anders vor…

Nun müssen wir also mal wieder abwarten, was am Morgen geschieht, denn das wird Auswirkungen auf den ganzen Rest des Tages haben. Sollten bereits am Morgen Gewitter durchs Mittelland und über den Jura ziehen, hat man dort zumindest bis zum späten Nachmittag mal Ruhe. Ist es am Morgen trocken und kann die Sonne voll einheizen, so geschieht das, was einige Modelle zeigen: Bereits ab Mittag können über dem Jura kräftige Gewitter entstehen. Sie ziehen mit dem südwestlichen Höhenwind auf der klassischen Juraschiene. Gegen diese Variante spricht allerdings das Bodentrögli nördlich von uns:

Tiefer Luftdruck über Deutschland und hoher über Frankreich hat unweigerlich zur Folge, dass der Wind in den unteren Luftschichten auf Nordwest dreht und bodennah trockenere Luft einfliessen lässt. Jetzt fragt sich nur: Zu welchem Zeitpunkt geschieht dies? Würgt dies die Gewitter in der Nordwestschweiz und im Jura gleich gänzlich ab oder geschieht die Entwicklung abgekoppelt von der Grundschicht einfach aus der feuchteren mittleren Schicht? Das wäre bei dieser Hitze brandgefährlich hinsichtlich heftiger Downbursts. Es ist jedenfalls angebracht, die Entwicklung sehr gut im Auge zu behalten und bei Anzeichen eines sich nähernden Gewitters alles reinzuräumen, was nicht niet- und nagelfest ist.

Gegen Abend dreht dann auch der Wind in den mittleren Luftschichten auf West bis Nordwest, somit verlagert sich der Schwerpunkt der Gewitter an den Alpennordhang. Dieser Punkt ist derjenige, der noch am sichersten zu prognostizieren ist. Heftige, allmählich verclusternde Gewitter am Alpennordhang und inneralpin mit Starkregen und allenfalls dichtem, kleinkörnigem Hagel zeigen fast alle Modelle für den Abend. Worüber sich die Modelle allerdings überhaupt nicht einig sind, ist die Verlagerungsrichtung dieser Cluster, weil der steuernde Höhenwind nicht einheitlich berechnet wird. Manche Modelle belassen ihn auf Südwest, wodurch die Gewitter auch aus den Voralpen ins benachbarte Mittelland ziehen können (es gibt sogar Varianten, welche die Gewitter nach Norden ziehen lassen). Wiederum andere sehen eine frühere Drehung auf West bis Nordwest, was die Cluster mehr in die Alpen hineintreibt, in diesem Fall hätte das Mittelland nur noch allfällige Entwicklungen aus dem Jura (die am Abend wegen den oben geschilderten Umständen unwahrscheinlicher werden) zu befürchten. Alles in allem also Chaos pur in der Modellwelt und daher reine Nowcasting-Sache. Wir werden so gut wie möglich im Kurzwetterbericht unter dem Radar die kurzfristigen Entwicklungen und daraus resultierende Aussichten aktualisieren.

Am Sonntag zieht aus Nordwesten eine Kaltfront auf:

Da steht ein mehrheitlich stark bewölkter und regnerischer Tag an. Die Reste der schwül-heissen Luft lagern noch in den Alpentälern und werden durch den Nordwestwind angehoben, hier und vor allem an der Alpensüdseite ist daher mit weiteren kräftigen und niederschlagsreichen Gewittern zu rechnen. Im Lauf des Nachmittags stabilisiert es von Nordwesten, im Flachland wird es somit bald trocken, während die Hauptaktivität in den Alpen und im Süden am Abend zu erwarten ist.

Am Montag bekommen wir klassisches Rückseitenwetter mit labilisierender Höhenkaltluft. Ob daraus nur Schauer oder doch Gewitter resultieren, hängt hauptsächlich davon ab, wie gut sich bodennah vor allem in den Alpen noch Reste der schwülen Luft halten konnten. Unwetterartige Entwicklungen sind aber kaum noch zu erwarten. Im Tessin wird es mit zunehmendem Nordföhn trocken.

Dienstag ist dann Durchlüften angesagt. Zunehmender Hochdruckeinfluss aus Westen lässt es abgesehen von ein paar schwachen Schauern in den Ostalpen trocken bleiben, die Temperaturen bleiben deutlich unter 25 Grad. Am Morgen kann es – abhängig davon, ob es in der Nacht zuvor bereits aufklart, sogar recht frisch werden.

Der Mittwoch scheint der stabilste Tag der Woche zu werden. Ein neues Hoch baut sich auf und trocknet alle Restfeuchte von oben ab. Die Temperaturen steigen wieder in den normalen sommerlichen Bereich etwas über 25 Grad.

Die weitere Entwicklung ist noch nicht ganz klar. Einige Modelle zeigen seit Tagen ein stabiles Hoch über West- bis Mitteleuropa, das mit Luftmassen aus Süden die nächste Hitzewelle einleitet, die dann auch etwas länger anhalten könnte. Wir haben allerdings einen Westlagen-Sommer und der Siebenschläfer-Zeitraum ist noch nicht vorüber. Es würde daher nicht erstaunen, wenn jene Modelle Recht behalten, welche eher eine antizyklonale Westlage sehen. Auch diese bringt heisse Tage, aber weniger stabil und anfällig für zumindest vom Bergland ausgehende Gewitter.

Gewittervorschau 21.-27.07.2020

Aus Westen nichts Neues: So kann man kurz die Lage in diesem Hochsommer zusammenfassen. Die recht verlässliche Siebenschläfer-Regel, wonach sich die Anfang Juli etablierte grossräumige Zirkulation mehrere Wochen (es müssen nicht exakt sieben sein) hält, ist auch in diesem Jahr wieder eine Macht. Die spannende Frage während einer solchen Phase ist die, wie viele Anteile von Nordwest oder Südwest sich zwischendurch reinmischen. Letzte Woche war Nordwest dran, diese Woche ist es eher Südwest (wenn auch nur wenig), was sofort einen völlig anderen Witterungscharakter zur Folge hat, weil energiereichere Luftmassen ins Spiel kommen. Für alle, die es bisher vermisst haben: Endlich stellt sich eine mehrere Tage anhaltende potenzielle Gewitterlage ein. Diese kann sich allerdings jeden Tag ein wenig anders präsentieren.

Betrachten wir die grossräumige Ausgangslage mit den steuernden Druckgebieten und den Windströmungen in rund 5500 m Höhe, so sehen wir eine recht stramme Westströmung, die den gesamten Raum vom Nordatlantik bis weit nach Europa hinein dominiert:

Schaut man genau hin, so sieht man eine nordwestliche Höhenströmung von Grönland über Island und die Nordsee bis ins nördliche Mitteleuropa; sie bringt bereits seit Wochen mit nur kurzen Unterbrechungen sehr kühle Polarluft. Auf der anderen Seite zielt dank eines abgetropften Höhentiefs bei Portugal eine warme südwestliche Strömung in Richtung Alpen. Über Süddeutschland treffen diese unterschiedlichen Luftmassen in einer scharfen Grenze aufeinander, allerdings unter relativ hohem Luftdruck:

Die parallel zur Höhenströmung schleifende Bodenkaltfront ist nur wenig aktiv, verharrt bis Donnerstag mehr oder weniger in dieser Position, womit die Schweiz in der subtropischen Luftmasse verbleibt. Wozu eine solche fähig ist, haben wir bereits heute Morgen in weiten Teilen des Mittellands erleben dürfen: Kleinräumige, in den Modellkarten kaum erkennbare Kurwellentröge reichen aus, um diese schwüle Suppe auch ohne Sonneneinstrahlung hochkochen zu lassen. Wenn also in den Lokalmodellen in den frühen Morgenstunden schwache Niederschlagssignale auftauchen, so kann man fast mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie sich wie heute früh als ausgewachsene Gewitter entpuppen werden. Wenn Modelle etwas nicht können, dann ist es Morgenkonvektion. Wäre schön, wenn die Modellentwickler da mal dran arbeiten würden…

Hat sich die Energie am Morgen mal entladen, hat man für eine gewisse Zeit Ruhe. Die Restwolken müssen sich erst mal verziehen und der Sonne Gelegenheit geben, die am Boden liegende Feuchte wieder hochzuziehen. Schauer und Gewitter am frühen Nachmittag gehen somit in erster Linie dort nieder, wo es am Vormittag trocken war. Die am Morgen bedienten Gebiete werden dann am Abend und der folgenden Nacht wieder beglückt. So in etwa sieht der jeweilige Tagesablauf der kommenden drei Tage aus – man muss also vom Wetter am Morgen auf den weiteren Verlauf schliessen. Dank der zügigen Höhenströmung bewegen sich die Gewitter sehr rasch, es kommt also nur selten zu stundenlangem Starkregen, die Überflutungsgefahr ist eher gering. Hagel ist eher kleinkörnig ein Thema, weil zwar eine starke Geschwindigkeitsscherung, aber keine Richtungsscherung herrscht (am Boden in etwa gleiche Windrichtung wie in der Höhe). Der Höhenwind kann in Begleitung von Gewittern mal in tiefe Lagen runtergemischt werden, mehr als „normale“ stürmische Böen sind allerdings bei den wenig organisierten Gewittern die Ausnahme.

Am Freitag ändert die Lage etwas, denn westlich von uns etabliert sich ein Zwischenhoch und drückt somit die kühlere Luftmasse aus Nordwesten gegen die Alpen:

Kaltfrontgewitter sind somit bereits Donnerstagnacht zu erwarten – wie aktiv, hängt wie oben erläutert von den Bedingungen tagsüber ab. Jedenfalls verlagert sich die Aktivität am Freitag an den Alpennordhang und in die Alpen: Länger anhaltender, zu Beginn noch gewittrig durchsetzter Stauregen ist zu erwarten. Gut möglich, dass der Schub aus Nordwesten zu schwach ist, um die Warmluftnester in den Alpentälern auszuräumen, dann sind inneralpin noch ganztags kräftige Gewitter möglich.

Am Wochenende und zu Beginn der neuen Woche wird es abenteuerlich, da die Abfolge der kurzwelligen Hochs und Tiefs in den Modellen zeitlich verschoben gerechnet wird. Möglich ist ein schwach wirksames Zwischenhoch am Samstag, das bereits am Sonntag von der nächsten Kaltfront verdrängt wird. Es gibt aber auch Rechungen, die es zwei bis drei Tage stabiler und hochsommerlich warm wollen, wie schon aktuell aber mit einer drohenden Luftmassengrenze knapp nördlich von uns. Mit dem daraus resultierenden Überraschungspotenzial müssen wir wohl oder übel noch längere Zeit leben müssen…