Sturm- und Kältevorschau 17.-24.05.2021

Spätwinterlicher Eindruck La Dôle im Waadtländer Jura, 27.05.2013

An den grauslich kalten und trüben Mai 2013 können sich wahrscheinlich die meisten von uns noch erinnern. Der Mai 2021 ist auf bestem Weg, dies in den Schatten zu stellen. Nach den aktuellen Aussichten wird er der kälteste Mai seit exakt 30 Jahren, und da wird es mit der Erinnerung bei einigen schon schwieriger. Noch länger zurück muss man in Sachen kältestes Doppelpack April/Mai zurückblättern, da wäre 1984 zu nennen, auch die 70er-Jahre hatten einige solche Kaliber im Programm. Wenn man zur Monatsmitte bereits mit relativer Sicherheit solche Vergleiche anstellen kann, dann muss die nordhemisphärische Zirkulation ziemlich kaputt und eingefahren sein. In der Tat gibt es aus dem aktuellen Muster so schnell keinen Ausweg. Und wir bekommen erneut nach 2018 vorgeführt, welche Spätfolgen ein Sudden Stratospheric Warming im Spätwinter mit entsprechender Polarwirbelschwächung oder -verschiebung nach sich ziehen kann – diesmal einfach ins andere Extrem.

So präsentiert sich die aktuelle Situation mit der grossräumigen Druck- und Windverteilung:

Wir sehen von Neufundland bis Südosteuropa nur Tiefdruckgebiete. Das Azorenhoch ist an seinem Stammplatz und dazwischen liegt eine stramme Westströmung derart auf die Alpen gerichtet, dass so mancher Herbst- oder Wintermonat vor Neid erblassen könnte. Stand heute und inkl. Prognose für die nächste Woche kommen wir in diesem Monat bereits auf 15 Tage des Grosswettertyps West plus drei Tage Tief Mitteleuropa. Das erstaunt, ist doch der Mai im Jahresverlauf derjenige Monat mit dem geringsten Anteil Westlagen (ca. 15 % in den letzten 30 Jahren). Was also ist die Ursache für diese aussergewöhnliche Zirkulation?

Wie die treue Leserschaft dieses Blogs längst weiss, sind starke Temperaturunterschiede auf kleinem Raum Antreiber für Tiefdruckentwicklungen. Schauen wir uns also mal die Verteilung der Temperaturanomalien des aktuellen Monats bis zum heutigen Tag an:

Es sieht immer noch gleich aus wie im April: Europa ist der nordhemisphärische Kältepol, während von Westrussland über Sibirien bis in die Arktis aussergewöhnliche Wärme vorherrscht, ebenso über dem Kanadischen Archipel. Über einen derart langen Zeitraum sind das bemerkenswerte Anomalien und ein weiteres Beispiel dafür, dass einmal eingefahrene Zirkulationsmuster immer persistenter werden. Erwärmt sich die Arktis, weicht die Kaltluft einfach irgendwo nach Süden aus und fühlt sich dort wohl – über dem Nordmeer wird sie auch nicht so schnell durch die Sonne aufgewärmt wie dies über einer Landmasse der Fall wäre. Folge ist über dem Atlantik und Europa eine nach Süden verschobene Frontalzone, wobei wir im Mai über den Subtropen ja bereits heisse Luftmassen in Hülle und Fülle haben – der Temperaturgegensatz ist gegeben und somit auch der Motor für Tiefdruckgebiete und starke Westwindzirkulation. Zu sehen ist dies am Beispiel einer Tiefdruckentwicklung in den nächsten Tagen über dem westlichen Nordatlantik:

Am Mittwoch liegt das frischgebackene Tief nördlich der Azoren und saugt Polarluft von Grönland her an (blauer Pfeil), während das Azorenhoch subtropische Luftmassen beisteuert (gelber Pfeil). Das Tief verstärkt sich somit weiter und zieht mit dem Jetstream nach Europa. Am Sonntag liegt es bereits über der Nordsee und ist für die spezielle Würze unseres Pfingstwetters zuständig:

Und wir sehen: Auf dem Nordatlantik steht schon das Nachfolgetief bereit, das wiederum Polarluft ansaugt und so weiter und so weiter… Da nützt es nichts, dass über der Sahara Backofenluft bereit steht: Der Tiefdruckkomplex ist zu mächtig und zu südlich, die warmen Luftmassen ziehen südlich der Alpen nach Osten und stützen das Hoch über Russland, das weiterhin Warmluft in die Arktis hochschaufelt: Ein immerwährender Teufelskreis, der noch wochenlang andauern kann, bis die Polarluft dann doch endlich von der Sonne und dem warmen Golfstrom weichgekocht wird.

Langer Rede kurzer Sinn: West- und Nordwestlagen werden uns noch eine Weile begleiten. Dabei ist es bei uns nicht nur kühl und häufig nass, sondern für die Jahreszeit auch aussergewöhnlich windig. Jedes knapp nördlich von uns durchziehende Tief steuert sein Westwindfeld genau über uns hinweg, so auch am Montag:

Die 75 km/h Mittelwind in 1400 m Höhe werden mit Unterstützung von Höhenkaltluft locker als Böen in die Niederungen gemischt, insbesondere in Begleitung von gewittrigen Schauern. Der Begriff „gewittrige Schauer“ wird hier ganz bewusst gewählt, denn von sommerlichen Gewittern sind wir in der kalten Luftmasse weit entfernt. Die Schneefallgrenze sinkt am Montagmorgen gegen 1000 m, Graupel ist auch weiter unten durchaus möglich. In diesem Stil geht das am Dienstag und Mittwoch weiter, wenn auch mit etwas weniger Wind. Bei Höchsttemperaturen von etwa 10-12 Grad am Mittwoch ist das aber auch nicht wirklich angenehmer.

Und dann kommt es: das Zwischenhoch am Donnerstag. Wobei am Morgen zuerst noch die Reste der letzten Kaltfront aus dem Osten der Schweiz verschwinden müssen, während am Nachmittag und Abend aus Westen bereits die Schleierwolken der nächsten Warmfront aufziehen. Dieses kurze Sonnenfenster und vor allem der windschwache Tag ist also mit Verstand zu geniessen. Denn am Freitag zieht zwar mal eine etwas wärmere Luftmasse über uns hinweg, wahrscheinlich ist es aber bereits wieder bedeckt und in der zweiten Tageshälfte setzt neuer Regen ein. Und danach kommt, was wir bereits kennen: West- bis Nordwestwind, Kälte, Regen, Pfingstwetter vom Feinsten eben…

Nein, ein toller Frühling wird das nicht mehr. Gut, dass am 1. Juni der meteorologische Sommer beginnt. Wobei: Dem Wetter wird’s wahrscheinlich egal sein…