Analyse zum Sturm „Sabine“ und Vergleich mit „Petra“

Windmessanlage von MeteoSchweiz in Luzern

Gemessen an der Aufmerksamkeit, die der Sturm „Sabine“ vom 9. bis 11. Februar 2020 bereits im Vorfeld erhalten hatte, hätte es mindestens ein „Lothar“ werden müssen. Sogar von einem „Monster-Orkan“ war bisweilen die Rede. Herausgekommen ist ein Wintersturm, wie er im Schnitt alle zwei bis fünf Jahre vorkommt. „Burglind“ im Januar 2018 war in der Schweiz sogar noch etwas stärker. Von „Petra“ eine Woche zuvor war kaum die Rede. Wir wollen hier genauer auf die Prognostizierbarkeit dieser Stürme eingehen und ein paar Vergleiche anstellen. Stimmt etwa der Spruch „frühzeitig erkannte Katastrophen sind keine Katastrophen“?

Sturm „Petra“ stand am Montag, 3. Februar gerade vor der Tür und wurde von den Medien kaum beachtet, als bereits auf ein Ereignis eine Woche später geschielt wurde. Der Name des neuen Tiefs war noch nicht bekannt, vielleicht deshalb bekam er die Bezeichnung „Monster-Orkan“. Grund dafür waren Karten der Globalmodelle, die einen extrem starken, direkt auf Mitteleuropa gerichteten Jetstream zeigten. Das sieht doch aus wie damals bei Lothar? Und schon war die Schlagzeile gezimmert. Nun muss man wissen: „Lothar“ war ein absoluter Ausnahmefall, den wir vermutlich nur einmal in unserem Leben zu sehen bekommen. Aufzuzählen, was da alles ganz genau zusammenpassen musste, damit sich dieser extreme Sturm in kürzester Zeit entwickeln und recht überraschend Mitteleuropa heimsuchen konnte, würde den Rahmen dieses Blogs sprengen. Dass man seither jeder ähnlichen Wetterlage die maximale Wachsamkeit schenkt, ist die erfreuliche Folge eines Lernprozesses. Man könnte auch sagen: „Aus Schaden wird man klug“. Doch leider ist heute im Zeitalter von Clickbait jedes Mittel recht, um die Aufmerksamkeit der Newsfeed-Junkies auf sich zu ziehen. Der Sache (dem gezielten Warnen der Bevölkerung vor realen Gefahren) ist das wenig dienlich, zumal ähnlich gefährliche Lagen (z.B. Sturm „Petra“), die sich anders – man könnte sagen: hinterlistiger – anschleichen, nicht die nötige Aufmerksamkeit bekommen.

Was also war es, was ausgerechnet dem Sturm „Sabine“ lange im voraus in den „Focus“ rücken liess? Es war schlicht und einfach die Grosswetterlage. Von wegen, man kann das Wetter eine Woche im voraus nicht prognostizieren! Je grösser ein System, desto besser klappt das. Und das Sturmsystem Ruth/Sabine war gewaltigen Ausmasses, wir haben in unserer Sturmvorschau vom 9. Februar darüber berichtet. Hier ein Vergleich Analyse (links) und Prognose (rechts) genau eine Woche vor dem Ereignis (Klick ins Bild öffnet eine grössere Version):

Nicht nur die grossräumige Druckverteilung mit strammen Westströmung über den gesamten Nordatlanik wurde sehr gut erfasst, sogar Position und Kerndruck des Sturmtiefs vor der norwegischen Küste wurden zu diesem Zeitpunkt bereits perfekt berechnet. Nun darf man zugeben, dass andere Modelle das nicht so genau hinbekommen hatten, auch wenn die Wetterlage fast durchgängig gut erfasst wurde. Erfahrene Meteorologen aber wissen, dass das gezeigte Modell ECMWF im Bereich von 7 Tagen in der Regel unschlagbar ist, was hiermit wieder einmal bewiesen wurde. Den einzigen Makel, den man hier anbringen könnte: Das Übergreifen des Sturms auf Mitteleuropa kam schlussendlich einen halben Tag früher, aber das ist eine Woche im voraus ziemlich irrelevant.

Ungefährer Zeitpunkt, Ausdehnung und Dauer des Sturms waren also bereits mehrere Tage im voraus klar, einzig die Frage nach den lokalen Sturmspitzen und somit die konkreten Auswirkungen und die zu erwartenden Schäden waren bis kurz vor Eintreffen des Ereignisses offen, da überraschende Entwicklungen von Randtiefs in der Frontalzone nicht ausgeschlossen werden konnten. Aus diesem Grund wird bei solchen Lagen immer möglichst lange mit genauen Prognosen zugewartet: Unsere Sturmvorschau entstand im Lauf des Sonntagmorgens. Wir gehen daher in der Folge vor allem auf die Modellvarianten ein, die zu diesem Zeitpunkt verfügbar waren.

Nehmen wir es vorweg: Die grösste Überraschung geschah am Sonntagabend, der noch gar nicht wirklich im Fokus der meisten Prognosen lag. Entsprechend findet man in den Rückschauen anderer Wetterdienste meist nur Grafiken und Statistiken ab Montag 00 Uhr. Als ob man durch das Totschweigen von Überraschungen (Fehler wollen wir es nicht nennen, als Meteorologe muss man sich weitgehend auf Modelle und statistische Outputs verlassen können) etwas lernen könnte. Zitat aus unserer Sturmvorschau: „Schauen wir auf das DWD-MOS, so sehen wir am Beispiel der Station Rünenberg im Basler Jura, dass die Wahrscheinlichkeit für Böen über 100 km/h während 30 bis 36 Stunden über 70 % liegt, und zwar von Sonntagabend bis Dienstagmorgen.“

Zum Vergleich der zum selben Zeitpunkt neueste verfügbare Lauf von Cosmo-D2 (klickmich)

Gezeigt wird die Prognosekarte des französischen Wettermodells mit den zu erwartenden Böenspitzen während der Stunde vor Mitternacht, eingefügt haben wir ein paar ausgewählte Messwerte während dieser Zeitspanne. Wir sehen die Station Rünenberg im Basler Jura mit dem höchsten Messwert von 148 km/h des gesamten Sturms „Sabine“ unterhalb von 1000 m, auch der Spitzenwert auf dem Chasseral mit 144 km/h wurde bereits zu diesem frühen Zeitpunkt erreicht. Nun: Wenn Modell wie MOS im fraglichen Zeitraum Böenspitzen von 100-120 km/h zeigen, dann aber über 140 km/h gemessen werden, dann darf man durchaus von einer faustdicken Überraschung reden. Besser erfasst wurden die Werte für den Hochrhein von Basel bis Schaffhausen wie auch für den Föhnsturm in den Alpentälern, vor allem im St. Galler Rheintal.

Besonders im Fokus standen die zu erwartenden Spitzenwerte beim Eintreffen der Kaltfront am Montagvormittag:

Zum Vergleich der zu diesem Zeitpunkt neueste verfügbare Lauf von Cosmo-D2 (klickmich), hier wird die Sturmspitze zwei Stunden früher erwartet (daher war in unserer Sturmvorschau auch von Montagmorgen die Rede, nicht vom Vormittag).

Die gemessenen Werte in den tiefen Lagen um 10:00 MEZ (+/- eine Stunde) entsprachen sehr gut den Vorstellungen des Modells, insbesondere der Schwerpunkt entlang des Hochrheins und am Rand der östlichen Voralpen wurde sehr gut erfasst, entlang dieser Achse gab es auch die einzigen Blitzentladungen an der Front. Etwas aus dem Rahmen fällt der Messwert vom Zürichberg mit 124 km/h, allerdings ist diese Station wegen ihrer exponierten Lage auf dem Hausdach der ehemaligen meteorologischen Zentralanstalt für solche Spitzen bekannt. Weniger repräsentativ ist diese Station deswegen nicht, steht sie doch für zahlreiche Siedlungen an Hügeln im Schweizer Mittelland und für Böen in Hausdachhöhe, wo jeweils am ehesten mit Sturmschäden zu rechnen ist.

Eine weitere Frage in unserer Sturmvorschau war jene, ob es die Höhenkaltluft auf der Rückseite der Front am Nachmittag in die Nordostschweiz schafft und damit einhergehend schwere Sturmböen in Begleitung von Gewittern auftreten können. Die Unsicherheit diesbezüglich haben wir thematisiert und in der folgenden Animation soll dargestellt werden, wie sich die Prognose von Sonntagmorgen bis Montagmittag für den Zeitpunkt Montag 15:00 MEZ entwickelt hat:

Man erkennt gut, wie die Höhenkaltluft (blau) von Lauf zu Lauf nach Nordosten verschoben wurde. Schlussendlich war die Luftschicht in rund 5500 m Höhe in der Nordostschweiz vier Grad wärmer als noch am Sonntagmorgen gerechnet. Entsprechend war die Labilität weg, es bildeten sich nur harmlose Schauer und der Montagnachmittag war die ruhigste Phase während des Sturms. Ganz sicher war man diesbezüglich aber erst am Montagvormittag, auch als sich abzeichnete, dass die verwellende Kaltfront vom Hoch südwestlich von uns (Genferseeregion mit Luftdruck um 1020 hPa, das ist Hochdruckrandlage) wieder von den Alpen weggeschoben wird. Die Schwierigkeit bezüglich Prognostizierbarkeit von Zeitpunkt und Postion von Wellen innerhalb der Front lässt sich am besten so erklären: Man stelle sich vor, dass sich die Luftmasse an der Frontalzone in Lagen zwischen 1500 und 3000 m mit 120 bis 150 km/h nach Osten bewegt. Entsteht eine Welle nur zwei Stunden später als vom Modell berechnet (das ist im Prognosezeitraum von 24 Stunden ein Klacks), liegt sie also bereits 240 bis 300 km/h abseits der prognostizierten Stelle. Ob Kaltluft auf den Jura trifft oder die bayerischen Alpen, ist für das Schweizer Mittelland nicht ganz unerheblich.

Die nächste Frage war die nach der zweiten Sturmspitze um Mitternacht von Montag auf Dienstag. Sie wurde deutlich kürzer modelliert als jene am Montagvormittag, entsprechend ist hier der Höhepunkt in der Osthälfte der Schweiz dargestellt, im Westen lag er eine Stunde früher:

Zum Vergleich der Prognoselauf von Cosmo-D2 (klickmich), hier wurde der Höhepunkt zwei bis drei Stunden später erwartet.

Im Mittelland wurden die Spitzenwerte vom Vormittag nur punktuell übertroffen, meist lagen sie um 10-20 km/h tiefer. In den Alpentälern, insbesondere im Berner Oberland und im Wallis, war der Sturm am Abend jedoch deutlich stärker, auf den Berggipfeln der Alpen sowieso. Im Grossen und Ganzen wurde aber auch dieser zweite Höhepunkt vom Modell recht gut erfasst, allenfalls mit einer leichten Zeitverschiebung. Einige Stationen, insbesondere in den östlichen Alpentälern, registrierten die höchsten Werte des Sturms allerdings noch später, nämlich am Dienstagmorgen als Begleitung von Schauern in der rückseitigen Kaltluft. Und hierin liegt die Besonderheit von „Sabine“, nämlich in der bereits in der Vorschau erwähnten Dauer. Zwischen den Spitzen im Jura und jenen in den östlichen Alpentälern lagen 36 Stunden, dazwischen gab es im Flachland nur kurze, ein wenig ruhigere Phasen (die aber immer noch Sturmböen brachten). Bei „Petra“ eine Woche zuvor fegte der Sturm innerhalb von etwa sechs Stunden durch (Ausnahme war eine Nachzügler-Böe in Glarus), allerdings mit ähnlich hohen Spitzenwerten im Flachland. Hier der Vergleich der beiden Stürme:

Weil „Burglind“ eingangs erwähnt wurde, hier noch ein Link (klickmich) zu den Spitzenwerten vom 3. Januar 2018.

Es lässt sich festhalten: Auf den Alpengipfeln war „Sabine“ eindeutig stärker als „Petra“, in den meisten Alpentälern ebenfalls. Im Mittelland und im Jura wie auch auf den Voralpengipfeln ist der Vergleich hingegen wesentlich komplexer. Die Tatsache, dass in Thun und Zürich mit 129 bzw. 128 km/h der Sturm „Petra“ lokal höhere Spitzenwerte im Flachland produzierte als „Sabine“, lässt uns zum Anfang dieses Beitrags zurückkommen: Es sind nicht immer die „Monster-Orkane“, welche bei mir vor Ort die grössten Schäden hervorrufen. Es können auch bei gewöhnlicheren Stürmen lokale Spitzen auftreten, die durch die örtlichen Gegebenheiten wie Leitplanken- und Düseneffekte, Fallwinde und Rotoren oder schlicht durch den Zufall eines Volltreffers mit einem eingelagerten Gewitter heruntergemischter Höhenkaltluft Gefahren entstehen. Den Schluss den man daraus ziehen muss: Egal, wie lächerlich die vermeintlich übertriebenen Warnungen und Massnahmen (gesperrte Wälder und Parks, eingestellte Bahnlinien, Schulausfall etc.) teilweise von der Öffentlichkeit gemacht werden: Wenn durch solche Vorsichtsmassnahmen Leben gerettet werden können, dann hat es sich gelohnt.

Sturmvorschau 09.-16.02.2020

Im Februar 2020 scheint das Motto zu lauten: Wöchentlich grüsst das Murmeltier. Ist eine Westlage über dem Nordatlantik mal so richtig eingefahren, so kann sie über längere Zeit hinweg in gleichmässigen Abständen Sturmtiefs nach Europa schicken. Dabei kann man häufig beobachten, dass sich dabei ungefähr ein 7-Tage-Rhythmus einstellt. Betrachtet man den Zeitraum von Ende Januar bis Mitte Februar (so weit reichen die einigermassen verlässlichen Modellrechnungen), so kommen wir auf vier Stürme in vier Wochen, wobei der Abstand zwischen den Sturmspitzen diesmal ziemlich genau sechs Tage beträgt. Wie bei einem gepflegten 4-Gang-Menü wurde am 28. Januar die Vorspeise serviert, der erste Hauptgang folgte am 4. Februar, nun steht am 10./11. Februar der zweite Hauptgang auf dem Tisch und für das nächste Wochenende kündigt sich in einigen Modellen das Dessert an.

Ein Blick auf die Titelkarte mit der grossräumigen Druckverteilung und den Strömungen in rund 5500 m zeigt wie schon vor Wochenfrist eine direkte und sehr starke Westströmung über den ganzen Nordatlantik hinweg bis nach Europa. Dabei wird über der Schweiz eine Höchstgeschwindigkeit von 125 Knoten = ca. 225 km/h erreicht. Angetrieben wird die ganze Sache durch extreme Temperaturunterschiede auf engstem Raum und einem maximal ausgeprägten, schnurgeraden Jetstream:

Man achte auf dieser Karte auf die kleinen weissen Pluszeichen, die wie auf einer Perlenkette aufgereiht sind. Dies sind Divergenzbereiche, also Zonen, in denen in grosser Höhe die Winde auseinanderlaufen. Dadurch entstehen vereinfacht gesagt Luftlöcher, und diese können aufgrund der Tropopause, die im Winter in etwa 10 km Höhe wie eine Sperrschicht wirkt, nur von unten her aufgefüllt werden. Es entsteht Hebung, dadurch sinkt der Luftdruck am Boden: neue Tiefs werden geboren. Der Jetstream steuert diese kleinen, aber giftigen, in die Frontalzone eingelagerten Randtiefs dann zügig nach Osten in den Kontinent hinein. Und weil im Tiefdruckgebiet der Wind im Gegenuhrzeigersinn dreht, ist der Wind am Südrand dieser Tiefs doppelt beschleunigt: Zur Zuggeschwindigkeit des Tiefs kommt die Eigendynamik des Windes ums Tief herum hinzu. So viel zur Einführung über die Gefährlichkeit dieser sogenannten Schnellläufer.

Nun wurde ja bereits seit Tagen von verschiedenen Wetterdiensten vor dieser Sturmlage gewarnt, und es ist zweifellos einer der stärksten Stürme der letzten Jahre, der Festland-Europa heimsucht. Wobei damit nicht zwingend die absoluten, lokalen Windspitzen gemeint sind (diese sind aus verschiedenen Gründen noch unsicher, dazu später mehr…), sondern vielmehr die Ausdehnung und die Dauer des Sturms. Dies verdeutlicht die Europakarte mit den groben Böenspitzen für Montagmorgen:

Diese Karte des amerikanischen Globalmodells eignet sich nicht für die Einschätzung der lokalen Böenspitzen, sondern soll lediglich das grobe flächige Potenzial aufzeigen. Und dieses zeigt zumindest orkanartige Böen von der Südspitze Grönlands über ganz West- und Mitteleuropa hinweg bis ins Baltikum zum selben Zeitpunkt. Diese Situation besteht auch 24 Stunden später noch, wenn auch etwas abgeschwächt. Man kann also davon ausgehen, dass fast die gesamte Nordhälfte Europas von Schäden an Infrastruktur und Wäldern sowie Behinderungen im Verkehr betroffen sein wird.

Zoomen wir in die Schweiz und die angrenzenden Gebiete. Zunächst ein paar Zahlen zur Dauer der Sturmlage. Schauen wir auf das DWD-MOS, so sehen wir am Beispiel der Station Rünenberg im Basler Jura, dass die Wahrscheinlichkeit für Böen über 100 km/h während 30 bis 36 Stunden über 70 % liegt, und zwar von Sonntagabend bis Dienstagmorgen. Auf dem Säntis dauert die Wahrscheinlichkeit von mindestens 50 % für Böen über 100 km/h durchgehend von Sonntagabend bis Freitagmorgen, wobei am Montagmorgen eine Spitze von knapp 180 km/h berechnet wird. Für die exponierten Lagen des Mittellands ist die Station Zürichberg repräsentativ: Hier wird eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 50 % für Sturmböen über 75 km/h durchgehend von Sonntagabend bis Mittwochmorgen gezeigt.

Nun zum Thema, das wohl den meisten unter den Nägeln brennt: Wie stark werden die Böenspitzen? Da muss man ehrlicherweise sagen: Man weiss es nicht. Auch wenn die Wettermodelle seit Lothar 1999 massiv verbessert wurden: 24 Stunden vor dem Eintreffen eines Schnellläufers kann man zwar das Potenzial grob abschätzen, nicht aber die punktgenauen Böenspitzen. Das liegt einerseits daran, dass diese kleinen Randtiefs in den Modellen mal gar nicht, mal als relativ harmlose Welle, mal als eigenständiges Tief gerechnet werden – und das zu allem Überfluss auch noch zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Die zahlreichen heutzutage zur Verfügung stehenden hoch aufgelösten Modelle stiften da eher noch Verwirrung: Welcher der zahlreichen Varianten soll man vertrauen? Man kann in einer solchen Situation einzig auf Erfahrung und synoptische Gesamtzusammenhänge bauen. So ist nebst der oben geschilderten Unsicherheiten vor allem entscheidend, wie stark die vertikalen Umlagerungen sind und somit die Windgeschwindigkeiten höherer Luftschichten bis zum Boden durchgereicht werden. Geht man von einer im Winter gültigen Faustregel von Faktor 0.8 des 850 hPa Windes aus, so muss in den Niederungen flächig mit Böen von 80 km/h ausgegangen werden – dies ist mal der Grundstock. Oder anders ausgedrückt: Es werden wahrscheinlich nur wenige, eher windgeschützte Stationen Böen von weniger als 80 km/h messen. Die absoluten Spitzen hingegen sind stark davon abhängig, ob an der Kaltfront oder allenfalls dahinter Gewitter auftreten. Und diesbezüglich gibt es eine gute Nachricht: Die Kaltfront am Montagmorgen liegt schleifend über dem Mittelland, während die Höhenkaltluft noch weit weg ist. Während also auf den Bergen der Sturm am stärksten ist, sieht es bezüglich Durchmischung ins Flachland eher mau aus. Zumindest für den Montagmorgen kann also von einem moderaten Kaltfrontdurchgang gerechnet werden und die Spitzenböen bleiben wahrscheinlich unter jenen vom vergangenen Dienstag.

Kniffliger wird es am Montagnachmittag, wenn möglicherweise Höhenkaltluft die Nordostschweiz streift (diesbezüglich gibt es zwischen den Modellen recht grosse Unterschiede). Hier wird eine ausreichende Labilität für Gewitter möglicherweise knapp erreicht, allerdings sind dann die Höhenwinde auch schon wieder etwas schwächer. Böen von 120 km/h und etwas mehr wenn es ganz dumm läuft, kann man somit zwischen Zürich und dem Bodensee nicht völlig ausschliessen.

Ein zweites Maximum (wenn auch etwas schwächer als jenes vom Montagmorgen) wird beim Höhenwind in der Nacht zum Dienstag gezeigt, doch auch hier scheint die Labilität für starke konvektive Umlagerungen nicht auszureichen. Bleibt es also bezüglich Druckverteilung und Höhenkaltluft bei den aktuell modellierten Berechnungen, kommen zumindest die Niederungen relativ glimpflich davon. Dennoch gilt für die Meteorologen bis Dienstag maximale Aufmerksamkeit, um eine allfällige rasche Entwicklung eines starken Randtiefs in der schleifenden Front rechtzeitig zu erkennen. In solchen Fällen liegt die Vorlaufzeit für Warnungen vor einem heftigeren Ereignis leider immer noch bei wenigen Stunden, maximal einem halben Tag.

Noch ein Wort zu den Niederschlägen: Aufgrund der raschen Zuggeschwindigkeit der Niederschlagspakete sind die Regenmengen im Mittelland relativ bescheiden. Es kann zwar beim Frontdurchgang ordentlich schütten, die Sache ist aber rasch durch. Da sich die Front bei permanentem Wind aus West bis Südwest nicht richtig an den Alpen stauen kann, ist auch hier trotz relativ hoher Schneefallgrenze (ca. 2000 m im Warmsektor Montag früh, 1200 m Montagmittag und 800 m am Montagabend) kaum von Hochwassgefahr auszugehen. Mit den Schneefällen in den Alpen, die bis Mittwoch mit stürmischem Wind verweht werden, steigt allerdings erneut die Lawinengefahr. Mit Schneeschauern bis in die Niederungen ist am ehesten von Dienstagabend bis in den Mittwoch hinein zu rechnen, allerdings sind die Temperaturen zu hoch, als dass etwas nennenswert länger liegen bleiben dürfte.

Da wir eingangs bereits das Dessert erwähnt haben, sei noch ein Blick in die Glaskugel erlaubt: Nächstes Wochenende steht möglicherweise der nächste Sturm an:

Von den vier Modellen, die so weit rechnen, steht GFS damit allerdings noch alleine da, und bereits im 6z-Lauf sieht es etwas gemässigter aus. EZMWF, ICON und GEM rechnen deutlich antizyklonaler, das wäre dann ein laues, aber extrem mildes Lüfterl aus Südwest. So oder so bleibt es spannend und die Aufmerksamkeit bei der Modellbetrachtung sollte vorerst nicht nachlassen…

Die Sache mit den Dezibel

Idealisierte Schallwelle. Der Schalldruck ist die Druckdifferenz zum Luftdruck und wird, wie der Luftdruck, in Pascal angegeben.

Anlass dieses Beitrages ist ein Artikel in der heutigen Ausgabe der NZZ unter dem Titel „Wie viel leiser ist Tempo 30 wirklich“. Der Baudirektor des Kantons Zürich, Martin Neukomm, äusserte sich, dass der Lärm durch die Temporeduktion von 50 auf 30 km/h halbiert wird. Wie üblich, wird er für diese Aussage kritisiert. So sei der Rückgang „lediglich“ 19 Prozent. Bundesämter gehen von einer Reduktion des sog. Schalldruckpegels um 2 bis 4.5 Dezibel aus. Damit der wahrgenommene Lärm halbiert werde, brauche es aber eine Reduktion um 10 Dezibel. Diese Zahlen sind einigermassen verwirrend. Wie steht es nun wirklich um die Dezibel und die effektive „Lärm-Reduktion“?

Die Dezibel spielen auch in der Radarmeteorologie eine grosse Rolle. Da ist die sog. Radarreflektivität, auch als „Z“ bezeichnet, eine fundamentale Grösse. Diese ist ein Mass für die Niederschlagsstärke, wenn auch kein besonders gutes, und wird in (mm6/m3) angegeben. Es ist eine Grösse, welche typischerweise zwischen 0.001 und 100 Millionen (mm6/m3) variieren kann. Zumindest sind die heutigen Radarmessgeräte in der Lage, etwa diesen Messbereich, 11 Grössenordnungen, abzudecken. Eine respektable Leistung der Radartechnik.

Das menschliche Hirn ist jedoch mit diesen elf Grössenordnungen ziemlich überfordert. Aus diesem Grund berechnet man den Zehnerlogarithmus von Z und definiert die Einheit „Dezibel“ oder „dBZ“ wie folgt:

dBZ = 10*log10(Z)

Der oben angegebene Wertebereich variiert dann zwischen -30 und 80 dBZ. Durch das Logarithmieren werden Quotienten zu Differenzen. Eine Differenz von zwei dBZ-Werten wird in dB (ohne das Z) wiedergegeben. Eine Differenz von 10 dB entspricht einem Faktor 10 Unterschied zweier Z-Werte. Und eine Differenz von 3 dB entspricht ziemlich genau einem Faktor 2 Unterschied zweier Z-Werte.

Beispiel:
Z1 = 10’000 mm6/m3 = 40 dBZ
Z2 = 1’000 mm6/m3 =30 dBZ
Z1/Z2 = 10 = 40 dBZ – 30 dBZ = 10 dB

Und nun zur Akustik. Da ist es ähnlich aber nicht genau gleich. Das physikalische Mass für die Lautstärke ist der sog. Schalldruck oder Schalldruckpegel. Dieser kann, wie der Luftdruck, als p bezeichnet werden und wird in Pascal angegeben. Wie die oben rechts wiedergegebene Abbildung zeigt, kann der Schalldruck als Abweichung vom Luftdruck durch eine Schallwelle definiert werden. Der Schalldruck umfasst typischerweise eine Spannweite von mindestens 15 (!) Grössenordnungen. Dies ist jedenfalls der Bereich, den das menschliche Ohr erfassen kann, bevor das Trommelfell reisst. Wenn man also das klobige Radargerät als eine respektable Errungenschaft der Technik bezeichnet, dann ist das Ohr ein Wunder der Natur. Dies sei nur so nebenbei festgehalten.

Aufgrund der riesigen Spannweite des Schalldrucks hat sich ebenfalls die logarithmische Einheit „Dezibel“ eingebürgert. Eigentlich müsste man, in Analogie zu dBZ, die Einheit dBp einführen. Diese Konvention hat sich jedoch nicht durchgesetzt. Man verwendet die Einheit dB sowohl für den logarithmischen Masstab des Schalldrucks als auch für den Logarithmus des Quotienten zweier Werte des Schalldrucks. Aber aufgepasst, die Definition der akustischen Einheit dB (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Schalldruckpegel) ist nicht die gleiche wie diejenige der radarmeteorologischen Einheit dBZ:

dB = 20*log10(p*50000)

Eine Abnahme um 3 dB des Schalldrucks bedeutet nun nicht mehr eine Reduktion um 50% (wie im Falle der Radarreflektivität), sondern lediglich eine solche um ca. 30%. Und 10 dB Abnahme bedeutet eine Reduktion um ca. 70%. Das rechnet sich sehr schnell, wenn man in der angegebenen Gleichung für p die Werte 1, 0.7 und 0.3 (Pascal) einsetzt:

20*log10(50000) = 93.98 dB
20*log10(35000) = 90.88 dB
20*log10(15000) = 83.52 dB

Soweit so gut. Die entscheidende Frage ist jedoch, wie der wahrgenommene Lärm vom Schalldruck abhängig ist. Diese Relation ist nichtlinear und frequenzabhängig, siehe hierzu ebenfalls den oben zitierten Artikel von Wikipedia. Die Frage nach der Lärmreduktion durch Geschwindigkeits-Beschränkungen wird so sehr schnell eine nicht-triviale Angelegenheit. Man tut also gut daran, die Botschaften der Politiker zu diesem Thema sehr kritisch zu hinterfragen.

 

Wenn’s an Lichtmess stürmt…

… dann ist der Frühling bereits da. Ungefähr so muss man die alte Bauernregel in unsere Zeit umdeuten, denn der zweite Teil von „stürmt und schneit“ tritt nur noch sehr selten auf, zumindest in tiefen Lagen. In der Tat hat die aktuelle Schneefallgrenze von rund 2000 m mit Winter so ziemlich gar nichts zu tun. Zwar ändert sich dies ab kommendem Dienstag kurzzeitig. Dass es rückseitig von Tiefdruckgebieten Anfang Februar auch mal bis in tiefe Lagen schneien kann, sollte eigentlich eine sogenannte „Nicht-Nachricht“ sein, stattdessen springt man in manchen Redaktionsstuben aber bereits wieder im Dreieck deswegen. Da können wir mit unserer nüchternen Betrachtung in Sachen Klicks natürlich nicht mithalten 😉

Schauen wir uns die grossräumige Ausgangslage mal an (ein Klick auf das Titelbild öffnet eine grössere Version), so stellen wir fest, dass eine stramme Westströmung direkt nach Mitteleuropa zielt. Der Ursprung der herangeführten Luftmasse – man erkennt es an den Windfiedern – liegt aber in der Karibik. Kein Wunder, bricht unsere Natur derzeit in Frühlingsgefühle aus. Am linken Kartenrand erkennt man aber auch, dass der Wind auf Nordwest dreht. Da sich das ganze System mit dem Jetstream sehr rasch nach Osten verlagert, erreicht uns diese Nordwestströmung am Dienstag und leitet eine kurze „Kaltphase“ ein. Was allerdings im Nichtwinter 2019/20 bedeutet, dass die Temperatur für ein paar wenige Tage nur geringfügig unter das langjährige Mittel fällt. Von wochenlang knackig-strengen Februarfrösten, wie das die älteren Semester unter uns noch aus fast jedem Winter kennen, sind wir etwa so weit entfernt wie von Schneesturm im kommenden Juli.

Was bringt uns also die Karibikluft abgesehen von Regen bis ins Hochgebirge? Vor allem mal starken Wind:

Da es sich hierbei um einen Warmfrontsturm mit geringer Böigkeit handelt, wird die Warnschwelle im Flachland nur knapp erreicht. Verbreitet ist mit Böen um 60 km/h zu rechnen, in freien Lagen sowie auf den Hügeln können es etwas über 80 km/h werden. Markanter ist der Sturm auf den Bergen mit orkanartigem Mittelwind und Böen bis 140 km/h. Das ändert auch im Warmsektor am Montag nicht gross. Mit weniger Niederschlag und ein paar sonnigen Abschnitten wird es aber noch eine Spur wärmer. 15 Grad dürften im Flachland verbreitet erreicht werden, in Lagen mit (Süd-)Westföhneffekt (z.B. Thun, Giswil, Luzern, Altenrhein) würden einzelne Spitzen bis nahe 20 Grad aber auch nicht erstaunen.

Die eigentliche Sturmspitze wird in der Nacht von Montag auf Dienstag mit dem Eintreffen der Kaltfront erwartet. Mit einem Temperatursturz von etwa 10 Grad in kurzer Zeit ist mit heftigen Böen zu rechnen. In die Kaltfront eingelagerte Gewitter können die Durchmischung des Höhenwinds bis zum Boden noch zusätzlich fördern, daher sind lokale Spitzen um 120 km/h durchaus im Bereich des Möglichen. Gerade im morgendlichen Berufsverkehr sind dann auch Schnee und Graupel bis ins Flachland zu erwarten, zusammen mit dem starken Wind eine heikle Angelegenheit.

Am Dienstag tagsüber wird in den unteren Luftschichten wieder etwas mildere Luft herangeführt, was die theoretische Schneefallgrenze auf etwas über 500 m ansteigen lässt. Theoretisch deshalb, weil dann die Höhenkaltluft (etwa -38° in 500 hPa) über uns liegt. Das ist hochgradig labil, daher ist am Nachmittag und Abend mit weiteren heftigen Schauern und einigen Gewittern zu rechnen. Bei intensiven Niederschlagsraten und der entsprechenden Schmelz- und Verdunstungskälte reicht das locker für weitere Schnee- und Graupelschauer bis in die tiefsten Lagen, weiterhin begleitet von Sturmböen. Erst am Mittwochmorgen beruhigt sich die Lage allmählich. Bis zu diesem Zeitpunkt dürften im Nordstau der Alpen bis zu 60 Liter Niederschlag gesammelt werden, das entspricht in höheren Lagen ungefähr einem Meter Pulverschnee, der angesichts des starken Windes allerdings nicht gleichmässig verteilt sein dürfte.

Danach legt sich für 48 Stunden ein kräftiges, aber nicht beständiges Hoch über Mitteleuropa. Mit Bise und vermutlich auch etwas Hochnebel gibt das wie schon oft in diesem Winter mal wieder zwei Tage „Winter light“. Nur wenn die Nächte klar bleiben, kann die Temperatur im Flachland auch mal knapp unter -5 °C sinken. Angesichts der Lichtmess-Regel, die aufgrund der Kalenderreform auf ein paar Tage nach dem 2. Februar zu liegen kommt, müsste man nun denken, dass doch noch der Winter Einzug hält. Doch das Hoch ist nur ein Intermezzo. Der Polarwirbel ist so kräftig wie noch selten in den letzten Monaten und kurbelt die Tiefdruckbildung über dem Atlantik weiter an. So ist bereits zum nächsten Wochenende mit der nächsten milden und windigen, je nach Modell sogar stürmischen West- bis Südwestlage zu rechnen. Der Frühling ist gekommen, um zu bleiben. Und wie in jedem Frühling, gibt es zwischendurch auch mal ein paar kältere Tage.