Ein Lehrstück: Squall-Line vom 07.09.2013

Radaranimation 07.09.2013 20:00 bis 02:00 MESZ

Radaranimation 07.09.2013 20:00 bis 02:00 MESZ (Klick öffnet den Film)

Ungewöhnlich heftig für die fortgeschrittene Jahreszeit präsentierte sich die Gewitterlage am Samstag, 7. September 2013. Sehr warme und zunehmend feuchte Luft aus dem Raum Spanien – westliches Mittelmeer erreichte aus Süd bis Südwest den Alpenraum. Wurden an den Tagen zuvor noch Spitzenwerte bis zu 30 Grad gemessen, mussten die Temperaturen am Samstag unter der feuchteren Luft besonders nach Westen hin bereits etwas nachgeben. Die energiereiche Luft sorgte allerdings für ein Phänomen, das als Lehrstück in der schweizerischen Gewitterklimatologie gelten kann.

Im Animationsfilm des Niederschlagsradars ist am frühen Abend in der Region südlich von Genf ein unorganisierter Haufen zahlreicher kleiner Einzelzellen zu sehen, welche mit der Höhenströmung ziemlich genau nach Norden ziehen. Westlich davon befindet sich ein flächiges Niederschlagsgebiet ohne wesentliche Blitzaktivität, hier hat sich bereits ein Kaltluftpool durch die Niederschlagsabkühlung gebildet. Um ungefähr 20:30 MESZ bildet sich von Genf bis zum nördlichen französischen Jura allmählich eine Gewitterline aus. Unter diesem sich formierenden Komplex wird zunehmend kalte Luft zu Boden befördert, die sich entsprechend der Druckverteilung zum Bodentief verlagern muss, das sich zu diesem Zeitraum im Oberrheingraben befindet. Nördlich des Juras kann sie dies auf direktem Weg tun, im westlichen Mittelland ist dieser Weg allerdings durch den Jurabogen versperrt: sie muss in östliche Richtung ausweichen. Die kalte Luft schiebt sich unter die warme weiter im Osten und hebt diese an: Es entsteht zwischen 21:30 und 22:00 eine zusammenhängende Gewitterlinie (Squall-Line) mit einer zunehmend Fahrt aufnehmenden Böenfront. Bemerkenswert ist nun die Tatsache, dass durch die Kanalisierung am Jurasüdfuss der südliche Teil der Squall-Line deutlich schneller voran kommt als der nördliche, sehr gut zu erkennen am Knick in der Linie genau über der Jura-Hauptkette um 22:45 Uhr:

Donnerradar-Archivbild 07.09.2013 22:45 MESZ

Donnerradar-Archivbild 07.09.2013 22:45 MESZ

Während am Juranordfuss ohne Kanalisationseffekt nur Böen von rund 60 km/h erreicht werden, sind es im Mittelland verbreitet 70 bis 80 km/h. Die stärksten Böen werden nicht ganz unerwartet direkt am Jurasüdfuss gemessen: Cressier 87 km/h, Grenchen 91 km/h. Die durch den Jura erzwungene Divergenz am Boden nimmt der Gewitterlinie etwas den Schwung, was sich in rasch abnehmender Blitzaktivität und nachlassender Niederschlagsintensität in der Nordwestschweiz manifestiert. Dies hätte den Tod der Squall-Line bedeuten können, würde der Jura nach Osten hin nicht zunehmend niedriger. Die schnelle Böenfront am Jurasüdfuss findet im Aargauer Jura den Weg über das kleinere Hindernis und kann wieder den ursprünglichen Weg nach Norden einschlagen, wo sie mit dem nördlichen Ast der Squall-Line konvergiert: Und oha! – schon bildet sich eine neue, schön zusammenhängende Line über dem Schwarzwald aus. An deren südöstlichem Ende wird um 01:00 Uhr in Schaffhausen eine Spitzenböe von 94 km/h gemessen.

Die Squall-Line war das Ergebnis einer vorlaufenden Konvergenz (schwarz) in der Tiefdruckrinne weit vor der Kaltfront (blau), die sich zu diesem Zeitpunkt noch weit im Westen über Frankreich befand:

Luftmassen- und Frontenanalyse 08.09.2013 02:00 MESZ

Luftmassen- und Frontenanalyse 08.09.2013 02:00 MESZ

Die Eigendynamik an der vorlaufenden Konvergenz liess eine Druckwelle in der Nacht bis weit nach Osten auslaufen, sie reichte am frühen Morgen bereits weit nach Bayern hinein:

Luftmassen- und Frontenanalyse 08.09.2013 08:00 MESZ

Luftmassen- und Frontenanalyse 08.09.2013 08:00 MESZ

Anhand der Theta-E-Karte kann man gut die Rolle von Kaltfront und vorlaufender Konvergenz erkennen: Die Karte stellt den Energiegehalt der Luft dar, welche sich aus Temperatur (Wärme) und Feuchtigkeit zusammensetzt. Die Aktivität der vorlaufenden Konvergenz hat die subtropische Luftmasse stark abgekühlt, daher ist die Luft westlich der Konvergenz energieärmer als im Osten. Beidseits dieser schwarzen Linie befindet sich jedoch dieselbe Luftmasse, sie weist denselben Taupunkt (=Feuchtegehalt) auf. Die Kaltfront trennt somit nicht mehr kühle von warmer Luft, sondern bloss noch trockenere von sehr feuchter Luft. Das ist der Grund, warum im Bereich zwischen Konvergenz und Kaltfront am Sonntag nur geringe Gewitteraktivität auftritt und die Kaltfront in erster Linie nur noch kräftigen Regen bringt.

Gewittervorschau 06.-12.09.2013

Energiereiche Luft liefert am Samstag die Grundlage für Gewitter

Energiereiche Luft liefert am Samstag die Grundlage für Gewitter

Die Gewittersaison ist eigentlich vorbei. Eigentlich… denn im September kann es bei günstiger Konstellation doch noch mal interessant werden. An diesem Wochenende ist die Wahrscheinlichkeit für Gewitter durchaus gegeben. Wir sehen uns mal im Detail an, was dafür und was dagegen spricht.

Die Erfahrung zeigt, dass in der ersten Septemberhälfte die Wahrscheinlichkeit, dass auf der Alpennordseite an einem bestimmten Tag irgendwo ein Gewitter auftritt, zwischen 10 und 30 % liegt. Damit ist allerdings noch nichts über die Verbreitung und die Heftigkeit der Gewitter gesagt. Für unwetterartige Entwicklungen müssen aufgrund des doch schon tiefen Sonnenstands und der reduzierten Tageslänge alle Parameter zusammenpassen. Wie steht es damit am kommenden Wochenende?

Die Luftmasse muss einen hohen Energiegehalt aufweisen, was zu dieser Jahreszeit fast nur bei südlicher bis südwestlicher Herkunft möglich ist. Die antreibenden Grosswetterlagen sind also Südwest, Trog Westeuropa und Tief Britische Inseln: positiv!

Nur nahezu uneingeschränkte Sonneneinstrahlung vermag die bodennahen Luftschichten noch ausreichend aufzuheizen, damit die Auslösetemperatur für die Überwindung von jahreszeit-typischen Inversionen erreicht wird: positiv!

Für ausreichende Labilität muss nicht nur die hohe Bodentemperatur stimmen, sondern auch Höhenkaltluft vorhanden sein: negativ!

Divergenzen in der Höhenströmung begünstigen das Aufsteigen der Luftpakete: ab Samstag positiv!

Zyklonale Strukturen im mittleren und höheren Druckniveau: nur im Westen positiv!

Konvergenzen in der bodennahen Strömung: positiv!

Nun gilt es, diese Zutaten bezüglich Gewittergefahr richtig zu interpretieren. Die meisten Parameter stimmen, doch einige sprechen dagegen, insbesondere die mangelnde Labilität. Mit konstant bleibenden 27 Grad Differenz zwischen 850er und 500er Niveau kann man zwar mit konvektiven Entwicklungen rechnen, doch müssen die anderen Zutaten noch etwas „nachhelfen“. Ein weiterer Bremsklotz ist der Hochdruckrücken, der sich bis Sonntag stabil knapp östlich der Schweiz befindet. Er gibt uns zumindest den Hinweis, dass stärkere Entwicklungen im Westen wahrscheinlicher sind als im Osten.

Wie sieht es mit dem Föhn aus? Die Höhenströmung ist zwar auf Süd, jedoch wird der Föhn in den unteren Luftschichten wegen des nördlich der Alpen liegenden Hochdruckkerns nicht gestützt. Dass diesmal der Osten von den Gewittern wahrscheinlich länger verschont bleibt, ist somit nicht dem Föhn, sondern dem oben erwähnten Hochdruckrücken und der damit trockeneren Luft zuzuschreiben.

Die recht lange Einleitung soll aufzeigen, dass Gewitterprognosen für dieses Wochenende nicht einfach aus dem Ärmel zu schütteln sind. Regionale Gegebenheiten, orografische Unterstützung, mehr oder weniger zufällig entstehende Bodenkorvergenzen werden darüber entscheiden, ob es überhaupt zu namhaften Entwicklungen kommen wird und vor allem wo. Am ehesten dürften Gewitter am Samstagnachmittag im Hochjura sowie in den westlichen und zentralen Voralpen entstehen, wobei in der südlichen Höhenströmung die Verdriftung ins Mittelland durchaus zu erwarten ist. Am Sonntag wird das Vorankommen der Kaltluft entscheidend sein: Vieles deutet darauf hin, dass seichtes Einfliessen eher zu flächigen Niederschlägen führen wird als zu markanten Gewitterentwicklungen, wobei diese vor allem nach Osten hin am Abend nicht auszuschliessen sind.

Ab Montag ist die subpolare Luftmasse auf der Rückseite der Kaltfront wetterbestimmend. Je nach Entwicklung und Verlagerung des sich abzeichnenden Trogs über Mitteleuropa kann es vor allem zur Wochenmitte zu Kaltluftschauern kommen, je nach Sonneneinstrahlung im Tagesgang sind dabei einzelne Gewitter nicht auszuschliessen.