Die seit dem 9. Dezember anhaltende Wintersturmserie erreicht in den nächsten Tagen ihren vorläufigen Höhepunkt. Interessant ist dabei nicht nur die potenziell schadenträchtige Sturmlage vom Mittwoch, sondern auch die nachfolgende Achterbahnfart der Schneefallgrenze sowie beträchtliche Niederschlagsmengen am Donnerstag auf der Alpennordseite, zum Wochenende dann auch im Süden. Auf die sich daraus ergebende Hochwasser- und Lawinengefahr kann hier nicht näher eingegangen werden, wir empfehlen die entsprechenden Berichte der kantonalen und nationalen Warnplattformen im Auge zu behalten. Aus dem Thunersee und den Jurarandseen wird jedenfalls schon mal vorsorglich Wasser abgelassen. Auch wenn es danach in der Wetterküche etwas ruhiger aussieht, heisst das noch lange nicht, dass die Spannung wegfällt. Die Modelle sind sich bezüglich der Entwicklung zu Beginn nächster Woche nämlich noch überhaupt nicht einig.
Die grossräumige Wetterlage zeigt uns eine stramme West-Nordwestströmung über den gesamten Nordatlantik, wobei das Starkwindband mit mittleren Windgeschwindigkeiten in 5500 m Höhe von 200-230 km/h direkt auf die Alpennordseite zielt (Klick auf das Titelbild für vergrösserte Ansicht). Über Mitteleuropa fächert die Höhenströmung auf, wodurch es zum Wochenende über Westeuropa austrogt und wir auf die warme Vorderseite gelangen. Die Zufuhr milder Luft weit nach Norden fördert in der Folge Hochdruckbildung irgendwo im Bereich zwischen Nordsee und Baltikum, während das abgetropfte Tief über Südwesteuropa oder im westlichen Mittelmeerraum herumeiert. Die genauen Positionen dieser beiden Gegenspieler ist für die weitere Entwicklung in Mitteleuropa massgeblich, genau hier scheiden sich jedoch die Modellgeister. Doch wenden wir uns zunächst der Kurzfrist zu:
Bereits am Dienstagabend erreicht uns aus Westen eine neue Warmfront, die Schneefallgrenze steigt an den westexponierten Lagen der Alpennordseite rasch auf 1500 bis 1800 m an, inneralpin schneit es in der Nacht noch länger bis in tiefe Lagen. Dabei frischt der Südwestwind allmählich auf und erreicht auf den Bergen bereits in der Nacht und am frühen Morgen Sturmstärke. Am Mittwochvormittag nähert sich aus Westen rasch eine Kaltfront:
Man erkennt an der gestaffelten Energieabnahme der Luftmasse hinter der Front, dass es sich dabei nicht um einen scharfen Temperaturgradienten handelt. Trotzdem birgt diese Front einige Gefahren. Aufgrund der eingangs erwähnten extremen Höhenströmung kommt die Höhenkaltluft nämlich viel schneller voran als die Bodenkaltfront. Die Modelle sind sich inzwischen einig, dass am Vormittag die Höhenkaltluft die bodennahe Warmluft im Bereich Südwestdeutschland/Nordschweiz überholt. Die Schichtung erreicht mit -30 °C in 500 hPa über 0 °C in 850 hPa eine Labilität, welche im Sommer für eine Schwergewitterlage sorgen würde. Blitz und Donner erwarte ich daher auch diesmal, doch das ist nicht das Hauptproblem: Durch die konvektiven Umlagerungen wird nämlich der Höhenwind stellenweise bis zum Boden durchgemischt. Dieser erreicht in 3000 m einen mittlere Windgeschwindigkeit von 160 km/h, in 1400 m immer noch 120 km/h:
Sehr schön ist auch der Leitplankeneffekt entlang des Alpennordrands zu erkennen, der sich am Nachmittag weiter nach Bayern und Österreich – mitunter sogar unter Verstärkung – fortsetzt, während auf der Rückseite der Front in der Schweiz der Wind rasch nachlassen wird. Der Höhepunkt des Sturms wird in der Nordwestschweiz am Vormittag, am Bodensee um die Mittagszeit erreicht. Die inzwischen zahlreich gewordenen Lokalmodelle zeigen im Detail lokal unterschiedliche Maxima, hier ein in meinen Augen plausibler Vertreter:
Demzufolge wird die schadensträchtige Schwelle von schweren Sturmböen (90 km/h) in den Niederungen verbreitet erreicht. Auf Orkanböen um 120 km/h muss man entlang des Hochrheins bis zum Bodensee, am Jurasüdfuss (Joran) sowie in den exponierten und erhöhten Lagen des Mittellands gefasst sein. Auf den Jura- und Voralpengipfeln sind durchaus Maximalböen zwischen 150 und 180 km/h möglich. Treffen die Berechnungen ungefähr so ein, wäre dies der schwerste Sturm der letzten Jahre. Zusätzlich verschärft wird die Gefahr durch die völlig vernässten Böden, was Entwurzelungen ganzer Bäume begünstigt. Es wird daher dringend geraten, am Mittwoch Wälder zu meiden!
Aufräumarbeiten werden nur notdürftig erledigt werden können, denn trotz nachlassendem Wind bleibt die Sturmgefahr bestehen. Zudem regnet es im Gefolge der Front kräftig, die Schneefallgrenze sinkt vorübergehend auf etwa 700 m. Bereits in der Nacht zum Donnerstag folgt die nächste Warmfront mit Dauerregen bis in die Nacht zum Freitag, dabei steigt die Schneefallgrenze wieder an, stellenweise kann sie über 2000 m erreichen. Und nun wird es kritisch, denn zu den akkumulierten Niederschlagsmengen kommt demzufolge auch noch einiges an Schmelzwasser hinzu:
Man kann nur hoffen, dass die mächtige Schneedecke noch einiges an Regenwasser aufnimmt und verzögert abgibt. Dennoch dürfte ein mittleres Hochwasser an den meisten Flüssen der Alpennordseite anstehen. Kritisch wird es am Rhein, je nachdem wie die Abflussspitzen der Zuflüsse aufeinander treffen. In mittleren Lagen steigt die Gefahr von Nassschneelawinen, in den Hochlagen wird die Lawinengefahr durch den starken Wind und Verfrachtungen verschärft.
Auf die Warmfront vom Donnerstag folgt nicht wie üblich eine Kaltfront, denn die Kaltluft zielt westlich der Alpen vorbei in Richtung Spanien und westliches Mittelmeer. Wir verbleiben auf der Vorderseite des abgetropften Tiefs, es bildet sich ab Freitag eine Südostföhnlage. Dadurch wird feuchte und mässig warme Mittelmeerluft an die Alpensüdseite geführt. Während es im Norden nun mehrheitlich trocken bleibt, regnet und schneit es auf der Alpensüdseite immer häufiger. Bei südöstlicher Anströmung dürften die westlichen Tessiner Täler sowie das Südwallis die grössten Niederschlagsmengen erhalten. Das mit der Schneefallgrenze wird eine Lotterie:
Die Luftmasse gibt zwar eine Schneefallgrenze von 1500 m her, doch mit geringer Durchmischung und starker Niederschlagsabkühlung kann es in manch engem Alpental bis in den Talgrund schneien. Das kann je nach Ausrichtung des Tals völlig unterschiedlich aussehen. Abhängig davon, wie weit nördlich das Bodentief verbleibt, könnte es im Wallis und im Berner Oberland zu starkem bis stürmischem Föhn kommen. Im Mittelland kommt eine zügige Bise auf, in der Genferseeregion und auf den Jurahöhen könnte sie am Sonntag durchaus in den Bereich der Sturmstärke gelangen.
Das war jetzt ziemlich viel Konjunktiv, denn die Modelle haben mit der Positionierung und Stärke von Tief im Südwesten und Hoch im Norden gewaltige Probleme. Auf obiger Karte sehen wir eine markante Luftmassengrenze quer durch die Mitte Deutschlands. Je nach Modell und Lauf bleibt sie dort stehen und wird in der Folge sogar wieder nach Norden zurückgedrängt, oder aber sie kommt bis zu den Alpen voran. In der neuen Woche ist eine schwachgradientige Süd- bis Südostlage ebenso möglich wie eine kalte Bisenlage. Auch ein erneuter Durchbruch von Westwind ist nicht völlig vom Tisch. Welches Schweinderl hätten’s denn gern? Die EZ-Ensembles für den Gitterpunkt bei Bern zeigt das Dilemma klassisch auf:
Bereits ab Samstag streuen die Member in 1400 m zwischen -3 und +10 Grad, und tauchen zu Wochenbeginn vereinzelt bis -10 Grad, während die GFS-Ensembles bis Dienstag kaum Member unter 0 Grad zeigen. Lassen wir uns also überraschen. Man kann es auch mit der Romantik-Brille sehen: Zum Glück lässt sich die Natur auch heute noch von der Technik nicht immer in die Karten schauen…