Gewitter, Hagel und Sturm am 28.04.2023

Gewitter über Sellenbüren (Archivbild W. Schmid)

Das gestrige Wettergeschehen gab  Anlass, nach längerer Pause wiedermal einen Gewitterrückblick zu verfassen. Im Sturmforum wurde gestern Vormittag folgende Vorschau publiziert:

„Heute drückt eine feuchte, energiereiche Luftmasse von Westen über die Alpennordseite. Die mässige Höhenströmung aus WNW könnte für genügend Scherung sorgen, dass auch Schauer/Gewitter mit Rotation nicht auszuschliessen sind. Wenn die Sonne reindrückt, könnte es schon da und dort recht aufploppen. Für Kaltluftschauer im April sind die Temperaturen eher hoch. Entweder schmelzen die Graupel, oder es reicht, vielleicht, für grössere Geschosse, welche dann nicht mehr schmelzen.“

Diese Vorschauworte haben das gestrige Wettergeschehen gut getroffen. Dieses kann in Kürze wie folgt zusammengefasst werden:

– Ja, es gab verbreitet und über lange Zeit Gewitter
– Ja, es gab Rotation, sogar eine langlebige Superzelle
– Ja, es gab Hagel
– Ja, es gab auch einen Downburst

Das markanteste Ereignis war ohne Zweifel die Superzelle, welche, vom Elsass ausgehend, über den Jura und das Mittelland in die Glarner Alpen reinzog und dann zerfiel. Die Daten waren, für Verhältnisse im April recht beeindruckend:

– Lebensdauer 4 Stunden und 5 Minuten (radarberechnete Intensität über 100 mm/h)
– Zuglänge 215 km
– Mittlere Zuggeschwindigkeit 52 km/h

Die Hagelspur ist auf der Hagelkarte haildoc 24 schön erkennbar. Am Boden wurden Hagelkörner bis 1.5 cm Durchmesser beobachtet, wobei gemäss der radarberechneten Hagelkarte auch Körner bis 3 cm Durchmesser möglich waren. Da vielerorts die Bäume in voller Blüte stehen, muss lokal mit erheblichen Schäden an den landwirtschaftlichen Kulturen gerechnet werden. Man beachte den Standort der Hagelmeldungen am Südrand der radarberechneten Hagelzone. Dies ist ein typisches Merkmal bei Superzellen. Durch die Interaktion der rotierenden Auf- und Abwinde werden die grössten Hagelkörner aussortiert und fallen am südlichen Rand der Superzelle zu Boden.

Hagelkarte haildoc 24 mit Bodenbeobachtungen. Die Zahlen geben den beobachteten Korndurchmesser wieder (Copyright meteotest.ch)

Auf dem folgenden 3D-Radarbild ist die Superzelle in den beiden Seitenrissen im Höhenprofil als rotes Hagelzentrum erkennbar. Der Hagelschlot erreicht eine Höhe von 8 km, bei einer maximalen Höhe der Gewitterwolke von 11 km. Diese Werte sind für die Jahreszeit bemerkenswert, können jedoch im Hochsommer noch deutlich übertroffen werden.

3D-Radarbild der Superzelle über dem Jura (Copyright meteotest.ch)

Atypisch war auch die Wetterlage, welche zu diesen Gewittern führte. Auslöser war ein blockierendes Hoch über der Iberischen Halbinsel, welches aus Nordwesten eine warme, feuchte Luftmasse zu uns steuerte. Diese wurde im Gefolge eines Randtiefs, mit zugehörigem Frontensystem, an den Jura, die Voralpen und die Alpen gedrückt, wo es dann durch orographische Hebung zur Gewitterbildung kam. Um die aussergewöhnliche Zugbahn der Superzelle zu verstehen, zeigen wir im Folgenden auch noch die 24-stündige Regensummenkarte des gestrigen Tages. Diese zeigt eine Zweiteilung: viel Regen im Nordosten und weniger Regen im Südwesten. Genau im Grenzbereich lag die Zugbahn der Superzelle. Der Regen im Nordosten fiel in den Stunden vor der Gewitterauslösung. Im Südwesten war es etwas trockener, und die Sonne konnte etwas durchdrücken und die Temperaturen, im Vergleich zum Nordosten, um etwa 1-2 Grad anheben. Möglicherweise reichte dieser Unterschied, um die Gewitterauslösung zu begünstigen. Man könnte von einer „Dryline“ sprechen: einer Grenze zwischen feuchter und trockener Luft, an welcher sich in den USA gerne Gewitter bilden. Den Begriff „trocken“ muss man jedoch sehr dehnbar interpretieren, er wäre in unserem Fall auf 90% relative Luftfeuchtigkeit anzuwenden.

Regensummenkarte 24 Stunden, 28.4.2023, 00 – 24 Uhr (Copyright meteotest.ch)

Die Superzelle war beileibe nicht der einzige Gewitterzug des gestrigen Tages. Die Gewittertätigkeit begann ca. Mitte Nachmittag über Frankreich und endete erst frühmorgens nach 4 Uhr in den östlichen Voralpen. Somit hat es während 12 Stunden irgendwo in der Schweiz geblitzt und gedonnert. Auch das nicht unbedingt die Regel für die Jahreszeit, aber ein eindrücklicher Start in die Gewittersaison. Im Sturmforum finden sich weitere Hinweise zu dieser aussergewöhnlichen Gewitterlage.

Die beiden Zugpferde der Marke Meteoradar: Donnerradar und haildoc, sind seit längerem im Besitz der Meteotest AG in Bern. Für die sofortige Beurteilung des Gewitterrisikos und die rasche Erfassung von Hagelschlägen mit Schadenfolge sind die beiden Tools nach wie vor unverzichtbar.

18.8.2020: Basler Split und Linksläufer-Superbabyzelle

Der Linksläufer im Abendlicht
Foto: Mike Tscharner

Am Abend des 18.8.2020 teilte sich eine Gewitterzelle, welche knapp südwestlich von Basel entstanden ist. Die eine Zelle wich dem mittleren Höhenwind nach rechts, die andere nach links aus. Der Rechtsläufer zerfiel nach 1 3/4 Std., der Linksläufer überlebte länger, ca. 2.5 Stunden. Dieses Verhalten ist unüblich, meistens ist es umgekehrt. Dies ist Grund genug, den Linksläufer genauer unter die Lupe zu nehmen. Der Zufall wollte es, dass die Zelle ziemlich nahe am Feldberg Radar vorbeizog. Damit kann mit Hilfe der Dopplerwindmessungen des Radars untersucht werden, ob der Aufwind der Zelle rotierte oder nicht. In unserem Vorgängerblog („Ausbruch von Superzellen?“) hatten wir darauf hingewiesen, dass die Umgebungsbedingungen für Rotation bei den Linksläufern in der Regel weniger günstig sind als bei Rechtsläufern.

Die folgende gif-Animation zeigt die Zellteilung und die unterschiedlichen Zugbahnen der beiden Split-Zellen zwischen 1810 und 21 Uhr. Die Wolkentops erreichten ca. eine Höhe von 10 km über Meer, und die Hagelcores (rote Säulen) stiegen auf maximal 6 km. Die Zellen entstanden in einer vom Nordatlantik stammenden, mässig instabilen Luftmasse auf der Rückseite eines abziehenden Höhentroges und erreichten nicht die Ausdehnung und Stärke von hochsommerlichen Gewittertürmen.

Radar-Animation des Basler Splits.

Wir untersuchen im folgenden den Linksläufer um 21 Uhr, der Zeitpunkt, zu welchem die Zelle im Süden des Feldberg Radars vorbeizog. Wir zeigen vier vergrösserte Radarbild-Ausschnitte: die Doppler-Geschwindigkeit auf 2.6 km Höhe über Meer (Elevation 2.5 Grad), ungefiltert und gefiltert, und die Radarreflektivität auf 2.6 km und 5 km Höhe über Meer.

Das untenstehende Bild der Doppler-Geschwindigkeit zeigt einen Vortex moderater Stärke. Im ungefilterten Bild (links) sind eine grössere Zahl von Fehlmessungen erkennbar. Diese sind kleinräumig und sehr variabel. Mit einem Median-Filter kann das Doppler-Bild in der Regel recht gut von Fehlmessungen gesäubert werden. Eine Beurteilung der Wirkung eines Filters von Auge ist aber immer empfehlenswert. In diesem Beispiel (Bild rechts) bleibt nach der Filterung genau ein offensichtlicher Fehlwert übrig. Dieser kann vernachlässigt werden, und der Doppler-Vortex wird bestätigt. Der Wirbel rotiert antizyklonal (also im Uhrzeigersinn), genauso wie es sich für einen Linksläufer gehört. Die Rotation ist in den Radarbildern mehrerer benachbarter Elevationen über einen Höhenbereich von 2.5 – 5 km über Meer nachweisbar. Allerdings ist die Wirbelstärke nicht besonders berauschend.

Die Doppler-Geschwindigkeit auf 2.6 km Höhe (Elevation 2.5 Grad), gemessen mit dem Feldberg Radar um 19:00 Uhr. Das Bild links ist ungefiltert, im Bild rechts wurde auf die Daten ein 3×3 Punkte Medianfilter angewendet. Grüne Farben bedeuten Bewegung aufs Radar zu, die braun-roten Farben weisen auf Bewegung vom Radar weg hin. Datenquelle: DWD Wetterradar Feldberg

In den folgenden Figur wird die Radarreflektivität auf 2.6 km (Elevation 2.5 Grad) und auf 5 km (Elevation 8 Grad) angezeigt. Im Bild links ist eine für Superzellen charakteristische Struktur erkennbar: ein Haken („Hook“), eine (durch den Haken begrenzte) Schwachechozone („weak echo region“ oder „WER“) und hohe Gradienten der Radarreflektivität auf der Nordseite der Zelle. Die Grenze der Schwachechozone ist mit einer schwarzen Linie markiert, diese Linie wurde in das auf 5 km Höhe aufgenommene Radarbild übertragen (rechts). In diesem Bild begrenzt diese Linie eine Zone mit markant höheren Radarreflektivitätswerten, man spricht deshalb von einem Überhang. Die „weak echo region“ markiert die Lage des Aufwindes: in diesem werden die Wolkenpartikel in die Höhe transportiert, bevor sie an Volumen zulegen und, im Überhang und seitlich angrenzend, allenfalls Hagelkorngrösse erreichen. In der Grafik links ist auch die Position des Dopplerwirbels eingetragen, wie er in der vorangehenden Figur identifiert worden ist. Man kann hieraus schliessen, dass der Aufwind rotiert, und zwar, wie schon beschrieben, antizyklonal, d.h. im Uhrzeigersinn. Mit der Rotation werden die Niederschlagsteilchen um das Aufwindzentrum herumgeführt, und es kommt zur Bildung des charakteristischen „Hook“-Echos.

Die Radarreflektivität auf 2.6 km Höhe (links) und auf 5 km Höhe (rechts). Typische Merkmale werden in weisser Schrift markiert, der/die geneigte Leser/in möge verzeihen, dass wir z.T. auf die im englischen Sprachgebrauch üblichen Begriffe zurückgreifen. Datenquelle: DWD-Wetterradar Feldberg.

Der Linksläufer kann also zum untersuchten Zeitpunkt (21 Uhr) als Superzelle klassiert werden. Die beschriebene Struktur kann in vier aufeinanderfolgenden Messzyklen (20:55 – 21:10) Uhr mehr oder weniger deutlich nachgewiesen werden. Vorher und nachher sind die Merkmale einer Superzelle weniger klar. Allerdings müssten die Messdaten durchgehend analysiert werden, um die effektive Dauer dieser superzellulären Phase zu bestimmen. Ab 21:15 Uhr schwächelte die Zelle zunehmend und verschwand eine halbe Stunde später aus dem Radarbild.

Die in den Radarbildern sichtbaren und beschriebenen Merkmale sind ein Spiegelbild der weitaus häufigeren rechtsziehenden Superzellen. Allerdings ist die Zelle markant kleiner als ihre grossen, ausgewachsenen Gegenspieler, welche typischerweise lange Schadenspuren durch Hagel, Sturm und schlimmstenfalls Tornados generieren. Man könnte in diesem Fall von einer Superbabyzelle oder, offizieller, von einer Mini-Superzelle sprechen. Der Vollständigkeit halber wird in der folgenden Figur ein stark vereinfachter Hodograf wiedergegeben (beruhend auf der Payerne-Sondierung vom 19.8.2020 00z), mit welchem die SREH 0-3 km abgeschätzt werden kann (vgl. hierzu unseren Vorgängerblog „Ausbruch von Superzellen“). Der gefundene Wert (37 m2/s2) ist wenig berauschend und liegt deutlich unter der Schwelle (100-150 m2/s2), ab welcher gemeinhin Superzellen erwartet werden. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass die Windverhältnisse nur lokal die Entstehung der beobachteten Superzellenstruktur begünstigt haben. Dafür spricht auch die möglicherweise nur kurze Dauer der superzellulären Phase.

Vereinfachter Hodograph, beruhend auf der Payerne-Sondierung vom 19.8.2020 00Z und der berechneten Zugrichtung und Geschwindigkeit des Linksläufers.

Falls jedoch der Aufwind des Linksläufers vor 20:55 Uhr (noch) nicht rotierte, dann wäre die Zelle erst 1.5 Stunden nach ihrer Entstehung in eine Superzelle mutiert. Die Zellenbewegung blieb über die gesamte Lebensdauer etwa die gleiche. Es ist also möglich, dass der Aufwind eines Linksläufers manchmal rotiert, manchmal nicht, ohne dass dies aus der Zugbewegung direkt erkennbar wäre. Ein schlecht aufgelöstes Kompositbild hilft da wenig, erst mit Hilfe eines vollständigen Volumendatensatzes und mit qualitativ guten Doppler-Messungen gelingt es, den Status eines Linksläufers (Superzelle oder nicht) zuverlässig zu bestimmen. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu und gilt auch für Rechtsläufer.