Nach einer wohlverdienten Ruhepause (lediglich der letzte Dienstag vermochte ganz im Osten der Schweiz noch für etwas Spannung zu sorgen) lohnt sich diesmal wieder ein genauerer Blick auf die Wetterentwicklung der nächsten Tage. Wer hier allerdings der Weisheit letzter Schluss zu finden hofft, wird enttäuscht werden: Zu komplex ist die Lage mit einem Abtropfprozess und verschiedenen kleinräumigen Randtiefs, die erfahrungsgemäss zu Eskapaden neigen und innerhalb weniger Stunden ein sicher geglaubtes Szenario völlig neu aufmischen können. Es kann also einmal mehr nur auf das Potenzial möglicher Entwicklungen eingegangen werden, der genaue Ablauf ist dann einzig anhand der Nowcasting-Werkzeuge im jeweiligen Tagesverlauf absehbar.
Ein Blick auf die allgemeine Lage offenbart rasch das Dilemma sämtlicher Prognostiker zwischen Costa Blanca und Timmendorfer Strand:
Ein sich aus Westen nähernder Trog wird durch eine Hochdruckbrücke zwischen dem Azorenhoch und dem Hoch über Osteuropa auseinander gerissen. Der südliche Teil tropft über Frankreich Richtung westliches Mittelmeer ab, der nördliche Teil vertschüsst sich zur Ostsee. Die damit verbundene Kaltfront sollte nach den Karten der letzten Tage noch über uns hinwegziehen, verwellt aber nach aktuellstem Stand über Ostfrankreich, sodass der Alpenraum vollständig in der schwül-heissen Luftmasse verbleiben soll. Dabei stellen sich gleich mehrere Fragen: Wie verläuft die genaue Zugbahn der kleinen Tiefs und wie rasch schliesst sich die Hochdruckbrücke, bzw. wie wirkt sich diese auf den Rest der verwellenden Front aus? Und vor allem: Was für Schweinereien stellt die Eigendynamik der in der schwülen Luftmasse entstehenden Cluster an?
Am Freitagabend ist noch nicht allzu viel zu erwarten. Der Deckel des starken Höhenrückens über uns hält vorerst dicht, das eine oder andere Hitzegewitter irgendwo über den Hochalpen ist aber nicht völlig auszuschliessen. Am besten stehen die Chancen dafür südlich des Alpenhauptkamms.
Spannend wird es ab Samstagvormittag: Wie nahe ziehen allfällige Cluster, welche die Nacht in Frankreich überlebt haben, durch die Burgunder Pforte nordostwärts? Die verschiedenen Modelle haben alle möglichen Varianten parat, von gar nichts über zu weit weg bis nah genug, um einen vormittäglichen Joran auszulösen, ist alles möglich. Variante Joran würde bedeuten, dass die eingeflossene bodennahe Kaltluft Entwicklungen im Jura nahezu verunmöglicht und einzig die Voralpenschiene am Nachmittag richtig zündet. Andernfalls ist die Auslöse am Jura, später an den Voralpen mit einem möglichen Zusammenschluss über dem Mittelland zu einem gewaltigen Cluster (MCS) denkbar. Ein weiteres Zünglein an der Waage wird die Sonneneinstrahlung am Samstag spielen. Jedenfalls sind heftige Gewitter entlang des gesamten Alpennordhangs wahrscheinlich. Je weiter weg von den Alpen, umso unsicherer ist die Lage. Aus Erfahrung ist die Möglichkeit durchaus gegeben, dass sich die gegenseitige Beeinflussung von verschiedenen Gewittersystemen bei gleichzeitigem Drehen des Bodenwindes von West über Nord auf Bise und gleichzeitig südlicher Höhenströmung in einem chaotischen Szenario äussern wird, die Zugbahnen also im Verlauf des Abends die Richtung wechseln können und so neue Gebiete erfassen, die zuvor als relativ sicher galten.
Abhängig vom Verlauf des Samstags bzw. der Nacht auf Sonntag (wie weit kommt die bodennahe Kaltluft?) ist auch die Entwicklung am Sonntag. Das amerikanische Modell geht davon aus, dass eine sehr energiereiche und vor allem wasserhaltige Luftmasse über der Alpennordseite verbleibt:
Die Höhenströmung dreht auf Süd bis Südost, während am Boden Bise vorherrscht und also die heisse Luft im Osten zu uns zurückdrückt – die Kaltfront wird rückläufig und nimmt über Ostfrankreich Warmfrontcharakter mit Westwärtsverlagerung an. Entscheidend für die Entwicklung bei uns wird wohl sein, wie nahe der Kaltlufttropfen im Südwesten verbleibt und somit die Schichtung labilisiert. Von heftigen Entwicklungen aus den Alpen heraus mit ungewöhnlichen Zugbahnen in Richtung Nordwesten ins Mittelland hinaus ist auszugehen. Aufgrund der Seltenheit solcher Lagen sind die Erfahrungswerte über mögliche Szenarien gering, jedenfalls muss man aufgrund der Luftmasse und der Richtungsscherung bei gleichzeitg schwachem Höhenwind nicht nur von extremen Regenmengen innerhalb kurzer Zeit, sondern auch von dichtem, allerdings nicht grosskörnigem Hagel ausgehen.
Die Entwicklung in der neuen Woche wird vorerst vom Verhalten des abgetropften Tiefs über dem Mittelmeer abhängen. Aktuelle Rechnungen gehen davon aus, dass es sich genügend weit von den Alpen entfernt und sich so rasch auffüllt, dass die Gewitterneigung bei uns von Tag zu Tag bis Mittwoch abnimmt. Vor allem die Gebiete abseits der Alpen dürften in diesen drei Tagen weitgehend trocken bleiben. Die Annäherung des neuen CutOff-Tiefs am Donnerstag lässt die Strömung aus Süd bis Südost aufleben, was sehr schwülen Luftmassen aus dem östlichen Mittelmeerraum den Weg zu uns öffnet. Mit einer allmählichen Zunahme der Gewittertätigkeit in der zweiten Wochenhälfte ist also zu rechnen.
Der obere Teil des Diagramms zeigt die Temperatur in rund 1500 m Höhe (für die Höchstwerte am Boden pro 100 m ungefähr 1 Grad dazuzählen). Die Fortsetzung der hochsommerlichen bis heissen Phase ist also auf Wochenfrist relativ gesichert. Die Ausschläge am Boden des Diagramms zeigen das hohe Niederschlagspotenzial am Wochenende, eine etwas trockenere Phase in der ersten Wochenhälfte und eine erneute Zunahme in der zweiten Wochenhälfte. Auf die tendenzielle Abkühlung zur Monatsmitte sollten nach den Erfahrungen des bisherigen Sommerlaufs zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht allzu hohe Beträge verwettet werden 😉
Und wieder einmal möchte ich mich bedanken für die sehr interessanten und aufschlussreichen Blogs! Ich freue mich immer wieder auf diese.
Merci vielmal.
Gruss Bruno