Nach den sehr milden Wochen würde man es kaum für möglich halten, doch steht Mitteleuropa erstmals seit März 2013 wieder mal eine richtig winterliche Phase bevor. Das Zustandekommen dieser Wetterlage kann man als Sechser im Lotto betrachten, denn die Vorgeschichte mit sehr warmen Meeren rund um Europa und einem bisher zahnlosen Winter in weiten Teilen Ost- und Nordeuropas liessen noch vor wenigen Tagen kaum an ein Szenario denken, wie es uns in den letzten Tagen des Jahres 2014 erwartet. Eingeleitet wird der Wettersturz durch ein Tief, das am Samstag von den Britischen Inseln her über Westeuropa und die Alpen hinweg in den zentralen Mittelmeerraum zieht. In seinem Sog zapft es arktische Luftmassen aus dem Raum Spitzbergen-Nordskandinavien an, wo die Tagestemperaturen derzeit kaum über -20 Grad hinauskommen. Der Kaltluftausbruch ist zudem direkt auf die Alpen gerichtet.
Zu allererst beschäftigt uns das Sturmtief am Samstag mit seiner ungewöhnlichen Zugbahn. Sein Warmsektor ist beim Eintreffen in die Schweiz bereits am okkludieren, das heisst die Warmluft wird zwischen den zwei Kaltluftmassen auf der Vorder- und der Rückseite des Tiefs angehoben. Durch die Südostverlagerung des Tiefs kommt der verbleibende Warmluftrest zudem kaum in die östlichen Landesteile voran. Dies und die Stärke des Tiefs gestalten die genaue Prognose, wo es wie stark und wie weit herunter schneien kann, extrem schwierig. Ebenso fraglich ist, wie stark sich der Wind bis in die Niederungen durchsetzen kann. Denn zwei Faktoren heben sich gegenseitig auf: Die Durchmischung und die Niederschlagsabkühlung. Fällt der Niederschlag intensiv genug, kann sich der Wind weniger gut nach unten durchsetzen und die bodennahe Kaltluft ausräumen, die Verdunstungsenergie kühlt die Luft zusätzlich ab und es schneit bis unten durch. Bei weniger starkem Niederschlag kann es hingegen kräftigere Böen bis in die tiefsten Lagen geben, die bodennahe Luftschicht wird erwärmt und die Schneefallgrenze steigt. Schauen wir uns die Lage am Samstagmittag anhand der Luftmassenverteilung an:
Die pseudopotentielle Temperatur stellt den Energiegehalt einer Luftmasse dar, eine Kombination aus Temperatur und Feuchtigkeit. Die Faustregel besagt, dass bei einem Wert von 12 die Schneefallgrenze bei 0 m.ü.M. zu liegen kommt, bei 24 bei 1000 m usw., sie steigt also jeweils 250 Meter pro 3 Grad. Die GFS-Prognose geht davon aus, dass eine Warmluftzunge von äq.-pot. 21° über die Westschweiz hinweg zieht. Theoretisch könnte also die Schneefallgrenze vorübergehend bei etwa 750 m zu liegen kommen. Wie erwähnt wird die Niederschlagsabkühlung dem entgegenwirken, die Frage ist allerdings: wo und wie stark? Ganz sicher wird der Südwestwind durch die Burgunderpforte in den Oberrheingraben und zum Juranordfuss durchgreifen. Spannender wird es im Mittelland, hier spielt die nächtliche Auskühlung wohl das Zünglein an der Waage. Da sich in der Nacht bereits zunehmend dichte Schleierwolken von Westen her ausbreiten, dürften die Temperaturen in der Westschweiz wohl nur schwer unter den Gefrierpunkt fallen. Irgendwo im Mittelland wird also die Grenze zu liegen kommen, wo der Niederschlag im Osten am Samstag durchgehend als Schnee fällt, wärend es im Westen noch regnet.
Der Wind spielt dabei eine erhebliche Rolle: Auf den Jura- und Schwarzwaldgipfeln bringt er orkanartige Böen, die sich aber nur schwer nach unten durchsetzen. In den Niederungen dürften 50 bis 60, in etwas exponierteren Lagen auch mal 70 km/h erreicht werden. Je weiter östlich, umso weniger stark setzen sich die Böen durch. Noch zu erwähnen ist ein kurzer, aber kräftiger Föhnstoss in den Alpen, der am Samstagvormittag in den dafür bekannten Tälern durchaus knapp Sturmstärke erreichen kann.
Bezüglich der Schneefallgrenze kann nun durchaus die interessante Situation auftreten, dass am Juranordfuss bis auf 700 m hinauf Regen fällt, während es in den windgeschützten Juratälern wie etwa in Balsthal durchgehend schneit. Lokale Gegebenheiten entscheiden an diesem Tag über markante Unterschiede auf kurzer Distanz. Spätestens am Abend trifft dann aber die Kaltluft aus Nordwesten ein und die Schneefallgrenze sinkt überall bis in die tiefsten Lagen. Allerdings wird der Niederschlag dann auch bald schwächer. Beträchtliche Neuschneemengen von bis zu einem halben Meter mit massiven Schneeverwehungen sind aber in den westlichen Regionen oberhalb von 800 m zu erwarten, nach Osten hin nimmt die Neuschneemenge kontinuierlich ab.
Am Sonntag schneit es am Alpennordhang noch ein wenig weiter. Mit starker Bise bleibt die Temperatur dabei durchgehend im Frostbereich. Richtig knackig kalt wird es aber erst mit der ersten klaren Nacht, am Montagmorgen dürften die Temperaturen verbreitet in Richtung -10 Grad fallen. Am Genfersee ist mit einem Bisensturm, auf der Alpensüdseite mit stürmischem Nordföhn zu rechnen. Diese Kälte bietet dann auch der nächsten Schneefront, die uns voraussichtlich am Montagabend erreicht, den ausreichend kalten Boden für eine Neuschneeauflage selbst in den tiefsten Lagen, die eventuell am Samstag noch nahezu leer ausgehen.
Wie sieht der weitere Verlauf aus? Der Tiefpunkt der Kältewelle wird voraussichtlich Dienstag früh erreicht:
Die Kaltluftzunge, die auf direktem Weg von Spitzbergen über Finnland zu den Alpen vorstösst (und nicht etwa aus Sibirien stammt, wie auf Kosten der Gebühren zahlenden TV-Zuschauer behauptet wird), wird von Nordwesten her abgeschnürt, es bleibt ein Kaltlufttropfen über Südosteuropa liegen. Fragt sich nun, wie sich der für seine Eigendynamik bekannte Kaltlufttropfen verhalten wird. Nach einigen Modellen soll er den Alpenraum noch einige Tage bis ins neue Jahr mit einem Bisensturm versorgen, hier dargestellt der Höhepunkt am Dienstag:
Alternativ kann sich aber auch ein Hochdruckgebiet durchsetzen, was für die Alpennordseite zwar auch mit Bise, aber weitaus gemässigter und mit einer allmählichen Milderung vor allem in den höheren Lagen einhergehen dürfte. Die Unsicherheit diesbezüglich ist nach Stand 26.12. noch sehr gross, die Ensembles weisen ab Neujahr eine Streuung von gerade mal 15 Grad auf…
Perfekt erklärt ! Danke