Sturmserie März 2019

Wer hätte noch vor zwei Wochen – mitten in einer stabilen Hochdrucklage – geglaubt, dass diese bald von einer sehr lebhaften und länger anhaltenden Westwindlage abgelöst werden könnte? Erinnerungen ans Vorjahr tauchten auf und mancher äusserte die Befürchtung, es könne mit dem langweiligen Hochdruckwetter nun ewig so weitergehen – das Dürregespenst spukte durch die Wetterforen. Doch Wetter wiederholt sich nicht. Dieses chaotische System ist durchaus in der Lage, aus der selben Ausgangslage in völlig unterschiedliche Muster überzugehen. Chaos muss aber nicht heissen, dass man gewisse Dinge nicht erklären kann. Und der Unterschied zwischen 2018 und 2019 ist durchaus frappant, wenn man die ganze nordhemisphärische Atmosphäre betrachtet. Wie oft hat es in Mitteleuropa gleich zwei Hitze- und Dürresommer hintereinander gegeben? Eben! Wobei: Bei der derzeit rasant fortschreitenden Klimaerwärmung ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit…

Schauen wir uns die Grosswetterlage für das bevorstehende Wochenende auf der Titelkarte an, dann fällt uns die schnurgerade Westwindströmung in 5500 m Höhe auf. Ein Sturmtief gibt dem nächsten die Klinke in die Hand und das Azorenhoch sitzt da, wo es hingehört. Dies ist die klassische NAO+ Lage, auf die man während des ganzen Winters aufgrund der Ausgangslage, insbesondere der Verteilung der Meerestemperaturen, gewartet hatte. Sie setzte sich zwar im Dezember durch, allerdings nicht nachhaltig. Immer wieder sorgten blockierende Hochs – mal über Ost-, mal über West-, mal über Mitteleuropa dafür, dass die Westwindlage ausgebremst oder umgelenkt wurde. Mitverantwortlich dafür war im Januar und Februar eine schnelle Stratosphärenerwärmung (SSW für sudden stratosphere warming). Wir kennen dies bereits aus dem Vorjahr, allerdings waren die Auswirkungen damals noch extremer und vor allem nachhaltiger. Eine Erwärmung der Stratosphäre sorgt dafür, dass dort die Winde die normalerweise im Winter stramm aus Westen wehen, entweder zum Erliegen kommen oder gar auf Ost drehen. Fällt das SSW besonders heftig aus wie 2018, bringt es auch den Jet-Stream der Troposphäre durcheinander, der Westwindgürtel bricht weitgehend zusammen und es können sich länger anhaltende Ostlagen aufbauen, welche Europa sibirische Luft bringen. In diesem Jahr war das SSW nur mässig ausgeprägt. Das hat zwar gereicht, um den Westwindmotor zum Stottern zu bringen, nicht aber für eine dauerhafte Umkehr der Strömungen. Folgende Grafik des Temperaturverlaufs in der Stratosphäre (ungefähr in 24 km Höhe) zeigt den Unterschied zwischen 2018 und 2019:

Wir sehen anhand der roten Linie, dass die Erwärmung 2019 einen Monat früher einsetzte, nicht so stark war wie im Vorjahr und sich die Temperatur im Februar bereits wieder im Normalbereich (graue Flächen) bewegte. Während 2018 der Kurvenverlauf einen direkten Übergang ins frühlingsbedingte final warming zeigt, sackt er dieses Jahr noch mal deutlich in den winterlichen Bereich ab, gelangt sogar in die Nähe eines saisonalen Rekords (der in noch grösserer Höhe auch tatsächlich unterboten wurde). Nun ist eine kalte Stratosphäre zwar nicht die einzige, aber eine wichtige Ursache für einen flotten Jetstream und somit einer gesunden Westwindzirkulation. Oder anders ausgedrückt, der jetzige Zustand der Atmosphäre unterstützt die „Normalverteilung“ mit kräftigem Islandtief und starkem Azorenhoch auch von oben – und prompt zieht es in Europa wieder mal ordentlich vom Atlantik her. Dass die Winterstürme bis weit in den März hinein toben, ist somit keine Ausnahme, in dieser ausgeprägten Form aber doch bemerkenswert. Allerdings zeigt obige Grafik auch, dass deren Lebensdauer aufgrund des saisonalen Fortschreitens überschaubar ist. In der Regel ist mit diesen Mätzchen in der zweiten Märzhälfte Schluss: Die nordhemisphärische Zirkulation kippt ins meridionale Muster mit einem starken Ausgleichsbestreben zwischen Nord und Süd. Je nach Glück oder Pech – das ist wohl Geschmackssache – gerät man für einige Zeit in eine Nord- oder Südströmung. So erreicht das Auftreten von Nordlagen von April bis Juni das statistische Maximum im Jahresverlauf, während Westlagen in dieser Zeit ein Minimum aufweisen. Auch Südlagen treten im April/Mai (gleich nach November) am häufigsten auf.

Doch wie passt der heftige Föhnsturm vom vergangenen Mittwoch/Donnerstag in eine stramme Westlage? Auch bei Westlagen bilden sich in der Höhenströmung gelegentlich Wellen. Nicht so lange wie bei einer meridionalen Zirkulation, aber es reicht, um kurzzeitig die Winde auf Südwest bis Süd drehen zu lassen. Hier die Karte während es Föhnsturms:

Föhnstürme während Westlagen dauern in der Regel nicht länger als einen Tag, sind aber aufgrund der starken Druckdifferenzen zwischen Nord und Süd mitunter heftig. Eine Föhnlage, welche durch Langwellen während einer meridionalen Phase auftritt, kann hingegen mehrere Tage, mit zwischenzeitlichen Schwächephasen gar Wochen andauern. Wenn wir während der nächsten Föhnlage im April oder Mai darauf achten, werden wir den Unterschied merken. Oder wir erinnern uns kurz an die Phase vom 2. bis 16. April 2018.

Nun haben wir aber noch ein paar Tage mit dieser lebhaften Westwindlage zu tun. Auf eine genaue Prognose, wann und wie stark die bevorstehenden Stürme auftreten werden, wird aufgrund der noch grossen Unsicherheit verzichtet. Die in der Westströmung eingebetteten, kleinräumigen Teiltiefs und Wellen werden von jedem Modell mit einer etwas anderen Zugbahn und mit unterschiedlichem Kerndruck berechnet. Entsprechend sieht die Streuung im Ensemble des Bodenwindes aus (Gitterpunkt im zentralen Mittelland):

Ein heftigeres Ereignis scheint für den Sonntag relativ sicher, auch die Fasnächtler am Montag dürften noch etwas durchgerüttelt werden. Dienstag ist Ruhetag mit dem Zwischenhoch, danach geht’s von vorne los, allerdings mit zunehmenden Unsicherheiten.

Was das Diagramm sonst noch zeigt: Ab ungefähr dem 18.-20. März wird es allmählich ruhiger. Und noch wichtiger: Die Windrosen zeigen eine zunehmende Wahrscheinlichkeit für eine Drehung auf nördliche bis östliche Richtungen. Da wird doch wohl nicht etwa die fortschreitende Jahreszeit ihre Duftmarke setzen wollen? Wer diesen Wink jetzt nicht versteht, liest den ganzen Beitrag am besten noch mal von vorne durch 😉

7 Gedanken zu “Sturmserie März 2019

  1. Super, dass die Schrift neu schwarz auf weiss ist! Kein Augenflimmern mehr und eine perfekte Leserlichkeit:-)
    Vielen Dank für die grossartig geschriebenen Artikel!

      • Stimmt, habe nicht realisiert, dass die Monatsprognosen/-rückblicke andere Typografie haben…
        Der Inhalt bleibt auch mit Augenflimmern immer noch gleich gut;-)

  2. Warum werden die Ausgleichsbestrebungen zwischen Hohen und niedrige Breiten (und damit die meridionalen Lagen) ab März/ April mehr? Liegt es an stärkeren Temperaturgegensätzen? Aber ich verstehe nicht ganz warum diese im Frühjahr größer sind als im Winter.

    • Ja, die Temperaturgegensätze nehmen zu. Man darf nicht vergessen, dass im Hohen Norden bis weit in unseren Frühling tiefwinterliche Verhältnisse herrschen. Man kann das hier anhand der Klimatafel von Svalbard auf Spitzbergen nachvollziehen: https://www.yr.no/place/Norway/Svalbard/Svalbard_lufthavn/statistics.html
      Von Januar bis Anfang April herrschen nahezu die gleichen Temperaturen, die Erwärmung setzt erst ab Mitte April richtig ein. Nimmt man die Differenz zwischen den Monatmitteltemperaturen von Svalbard und Sevilla, so beträgt diese im Januar 26.1 Grad, im März 28.7 und im April immer noch 27.7 Grad. Und das sind nur die Verhältnisse am Boden, der sich mit steigendem Sonnenstand schneller erwärmt als die Luft. Die höheren Luftschichten sind über der Arktis im Schnitt nur unwesentlich wärmer als im Winter, während der warme Boden im Süden die Luftschichten von unten her schon ganz gut aufzuwärmen vermag. Da sich der Jetstream im Frühling aufgrund der Erwärmung der Stratosphäre abschwächt, können diese stark unterschiedlich temperierten Luftmassen nun auf direkterem Weg, also Nord-Süd und umgekehrt, ausgetauscht werden. Das ist auch gut so, denn wären auch im Frühling die Westwinde dominant, geschähe dieser Ausgleich langsamer und es würde im Hohen Norden nie Frühling. Denn der flache Sonnenschein dort alleine könnte die Erwärmung nicht bewerkstelligen. Nur zur Sicherheit: Wir sprechen hier klar von den Gebieten nördlich des Polarkreises. In Mittelschweden sieht das aufgrund des höheren Sonnenstandes und der extremen Tageslänge schon wieder ganz anders aus (Temperaturen von über 30 Grad letztes Jahr im Mai, mit Föhneffekten sogar bis fast ans Nordkap haben gezeigt, wie es funktionieren kann).

      • Danke für die Erklärung. Noch eine Nachfrage: die meridionalen Lagen werden ja sowohl im Winter als auch im (Kern-)Sommer seltener u.a. aufgrund der geringer werdenden Temperaturaturunterschiede zwischen Nord und Süd. Warum aber gibt es im Kernsommer dann aber trotzdem selten eine wirkliche Westlage? Bzw. eben viel viel schwächer ausgeprägt als im Winter.

        • Die Kommentarfunktion hier ist nicht gerade das geeignetste Gefäss, um die Grundlagen der atmosphärischen Zirkulation zu erklären. Ich versuche es daher möglichst kurz:
          Durch das viel kleinere Reservoir an kalten Luftmassen über der Arktis im Sommer können auch keine grossräumigen Kaltluftausbrüche mehr nach Süden erfolgen, entsprechend fehlt auch der Gegenpart an Warmluftvorstössen in den Hohen Norden. Die fast rund um die Uhr scheinende Sonne heizt jetzt dort die Kontinente auf. Das erklärt die wenigen meridionalen Wetterlagen gegenüber den Übergangsjahreszeiten. Durch die geringeren Temperaturunterschiede ist auch der Jetstream schwächer (und wird im Gegensatz zum Winter, wo auch in der Stratosphäre im Normalfall Westwinde herrschen, auch nicht noch zusätzlich aus der Höhe unterstützt). Durch die massiv geschrumpfte Masse an Polarluft befindet sich der Jetstream im Sommer zudem deutlich weiter nördlich als im Winter. Die Tiefdruckgebiete ziehen also nicht wie im Winter durch das nördliche Mitteleuropa, sondern über Island und Skandinavien. Trotzdem hat die Grosswetterlage „West zyklonal“ im Juli und August ihr statistisch häufigstes Auftreten im Jahresverlauf. Die Norddeutschen und die Holländer können ein Lied davon singen (Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?), während uns in der Schweiz das nur randlich tangiert – von total verschifften Ausnahmesommern abgesehen, die es auch bei uns hin und wieder mal geben kann, wenn sich der Jetstream aus unterschiedlichen Gründen mal nicht ordnungsgemäss nach Norden verschiebt. So erklärt sich auch die relativ zuverlässige Siebenschläfer-Regel, wenn man sie richtig anwendet.

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