Ex-Tropensturm RINA bringt uns den Winter

So absurd die Überschrift klingen mag, so verrückt ist die aktuelle Wetterlage. Was sich in den 90 Stunden von Freitagmittag bis Dienstagmorgen vom Atlantik bis zu den Alpen abspielen wird, ist spannender als jeder Krimi. Fussball-WM-Quali-Barragespiel und Tatort am Sonntagabend können einpacken 😉 „Endlich wieder mal Vollwetter!“, ist der Profi hinter und der wetterinteressierte Laie vor dem Bildschirm nach der deprimierend grauen und langweiligen Wetterwoche geneigt zu rufen, der schon fast totgeglaubte Wetterblog erwacht in alter Frische. Versuchen wir, Prise für Prise die Zutaten für das rezente Süppchen zu analysieren und schauen mal, was uns schlussendlich serviert wird. Doch Vorsicht: Zu viele Köche verderben den Brei! Zwischen Neufundland und den Alpen kann viel geschehen. Ist dies vielleicht der Grund, dass noch kaum jemand in der Wetterbranche getrommelt hat?

Schauen wir uns die Grosswetterlage anhand des Titelbilds an, so erkennen wir zwischen einem sehr kräftigen und etwas nach Norden verschobenen Azorenhoch sowie einem ebenso kräftigen Tiefdruckkomplex über Skandinavien eine stramme Nordwestströmung. Abgebildet sind die Windgeschwindigkeiten in rund 5500 m Höhe, welche im Jet bis zu 100 kn, also etwa 180 km/h erreichen. In diesen Neufundland-Sizilien-Express sind verschiedene Randtiefs und Wellen eingebettet, welche uns von Samstag bis Montag in rascher Abfolge besuchen werden. Dabei wollen wir ein besonderes Augenmerk auf die Ausgangslage heute Freitag zwischen Neufundland und der Südspitze Grönlands legen:

Die beiden bereits erwähnten Hauptdruckfelder sehen in dieser Darstellung mit den Bodendrucklinien noch imposanter aus. Markant ist die Luftmassengrenze, welche quer über den Nordatlantik verläuft. Für uns von Bedeutung ist das unscheinbare Tief vor Neufundland, das sich zwischen den beiden steuernden Druckzentren durchquetschen muss und dabei ordentlich gebeutelt wird. Die gelbe Farbe deutet an, dass es subtropische Luftmassen im Schlepptau hat, und das kommt nicht von ungefähr:

Ziemlich spät in der Saison hat sich in den letzten Tagen auf der Höhe von 30° N / 50° W über dem westlichen Nordatlantik eine tropische Depression gebildet, die sich auf dem Weg nach Norden zum Sturm verstärkt hat und nun in die Frontalzone eingebunden wird. Nach einem bei uns bereits sehr windigen und nassen Samstag kommt der Rest dieses Sturms als Welle in der Nacht auf Sonntag in Westeuropa an:

Durch den weiten Weg über den Atlantik ist die Luftmasse bereits etwas abgekühlt, lässt aber dennoch die Schneefallgrenze in den Westalpen bis teils über 2000 m ansteigen. Man sieht aber bereits auf der Rückseite der Welle die polare Luftmasse, welche das Tief bei Grönland angezapft hat und auf direktem Weg zu uns führt. Starke Temperaturunterschiede auf engem Raum befeuern die Tiefdruckentwicklung entlang der Frontalzone, und genau da liegt nun das Motiv in unserem Sonntagskrimi verborgen: Wie stark wird sich diese Welle über Mitteleuropa vertiefen? Das Angebot der verschiedenen Wettermodelle reicht (stand Freitagnachmittag) von 996 bis 1005 hPa. Auch die Zugbahn kann noch etwas variieren, doch scheint die grobe Richtung über Süddeutschland hinweg einigermassen gesichert, womit zu starkem Höhenwind und schnell ziehendem Tief auch noch der Düseneffekt am nördlichen Alpenrand zu tragen kommt. Auch das tageszeitliche Timing zwischen Sonntagmorgen und Sonntagmittag ist relativ klar. GFS ist momentan eines der Modelle, die am stärksten auf die Tube drücken (ist aber damit nicht alleine):

Das reicht für ordentliche Orkanböen in mittleren Lagen (Jura, höhere Mittelland-Hügel). Die Frage ist nur, wie stark der Regen im Warmsektor die Durchmischung in die Niederungen zu bremsen vermag. Jedenfalls muss man das im Auge behalten und bringt vorausschauend schon mal alles in Sicherheit, was nicht niet- und nagelfest ist.

Mit der scharfen Kaltfront sinkt die Schneefallgrenze am Sonntagabend rasch auf etwa 500 m ab, zu diesem Zeitpunkt dürfte der Niederschlag noch kräftig genug sein, damit der Schnee in den höheren Mittelland-Lagen ansetzt. Da die kälteste Höhenluft direkt auf die Reste der Warmluft am Boden trifft, wäre es erstaunlich wenn es am Sonntagabend nicht zu eingelagerten Gewittern kommt. Anders als noch in den letzten Tagen wird für die Nacht kein rasches Vorstossen des Hochdruckkeils aus Westen mehr gerechnet, sodass es noch bis weit in den Montag hinein immer wieder zu kräftigen Schneeschauern kommen kann. Mitverantworlich dafür ist knackige Höhenkaltluft:

Die Höhenströmung trifft am Montag direkt aus Norden auf die Alpen. Das gibt einerseits einen heftigen Nordföhnsturm auf der Alpensüdseite, aber auch einen netten Stau auf der Alpennordseite, wo sich die Schnee- und Graupelschauer (jetzt in fester Form bis in die tiefsten Lagen) weiter austoben können. Mit von Nordwest über Nord auf Nordost drehendem Wind wird auch der Lake-Effekt am Bodensee von Vorarlberg bis später ins Appenzellerland ein Thema. In diesen Regionen bereitet man sich am besten schon mal auf eine ordentliche Schneeladung vor. Ich habe bereits von Wetten gehört, ob irgendwo die Ein-Meter-Grenze überschritten wird.

Noch nicht genug? Der erwähnte Hochdruckkeil wird in der Nacht auf Dienstag doch noch wirksam. Ist er stark genug, um die Luft von oben abzutrocknen und Hochnebelbildung zu verhindern, steht uns am Dienstagmorgen der erste verbreitete, eventuell sogar mässige Frost bevor. In den folgenden Tagen bildet sich eine Hochdruckbrücke über Mitteleuropa, wobei es in der Höhe rasch wieder wärmer wird. Mit Einschlafen des Windes am Boden wird sich somit allerspätestens in der Nacht auf Mittwoch eine Inversionslage bilden. Wer es sich erlauben kann, wird also am Mittwoch/Donnerstag die frisch verschneite Bergwelt an der Sonne mitsamt Nebelmeer geniessen können. Ob das mit dem Winter nachhaltig ist, wird sich noch weisen müssen. Endmittelfristig ist von weiteren Kaltlufteinbrüchen aus Norden bis zu Föhnlagen alles in den Ensembles vorhanden…