Über fotometeo

Fabienne Muriset hat seit 2004 internationale Erfahrungen als Medienmeteorologin bei Wetterdiensten im deutschsprachigen Raum gesammelt und bietet seit 2011 ihre Dienstleistungen als selbstständige Meteorologin und Fotografin auf dem freien Markt an. http://www.fotometeo.ch

Sturmtief „Andrea“ vom 05.01.2012

Erste Aufhellungen hinter der Kaltfront von "Joachim" am 16.12.2011 (Foto: Fabienne Muriset)

Erste Aufhellungen hinter der Kaltfront von "Joachim" am 16.12.2011 (Foto: Fabienne Muriset)

Der Atlantik-Winter in Mitteleuropa wartet mit einer weiteren Sturmserie auf. Während in der Nacht auf Mittwoch Sturm „Ulli“ bereits verbreitet Sturmböen brachte, wird am Donnerstag „Andrea“ noch weiter zulegen. Erneut muss man auch im Flachland mit orkanartigen Böen rechnen, für die Nordalpen sind weitere ergiebige Schneefälle angesagt.

Der Ablauf und die Stärke des aufziehenden Sturms ist jenem von „Joachim“ Mitte Dezember ähnlich, dennoch gibt es im Detail einige Unterschiede. Die Warmfront ist nicht so stark ausgeprägt und niederschlagsärmer, der Warmsektor weniger stark geöffnet als beim Ereignis vor drei Wochen. Zudem kann sich im Mittelland zuvor kein so ausgeprägter Kaltluftsee ausbilden, viele Wolken verhindern die nächtliche Abkühlung. Somit wird der Sturm in den frühen Morgenstunden nicht nur auf den Jurahöhen zulegen, sondern sich auch bereits im Mittelland mit Böen von 60 bis 80 km/h bemerkbar machen. Die Schneefallgrenze steigt mit der Warmfront auf Höhen bis etwa 1000 Meter, am Jura und in den Westalpen auch etwas höher. Der Druckgradient ist mehr SW-NE gerichtet und nicht S-N, daher bleibt ein Föhnsturm in den Alpentälern wie bei „Joachim“ am 16. Dezember diesmal aus.

Mit der Kaltfront, welche die Nordschweiz Mitte Nachmittag erreicht, werden erneut Böen in knapp Orkanstärke bis in die Niederungen durchgreifen. 90 bis 110 km/h werden verbreitet erreicht, am frühen Abend mit Kanalisierungseffekten in den Alpentälern sind auch 120 bis 130 km/h nicht ausgeschlossen. Die stärksten Böen werden aber auch diesmal mit 140 bis 170 km/h auf den Bergen erreicht.

Mit dem markanten Druckanstieg hinter der Kaltfront stellt sich in der Nacht und am Freitag eine kräftige Nordwestströmung über den Alpen ein, somit muss man noch bis weit in den Freitag hinein mit Sturm im Bergland sowie mit heftigem Nordföhn auf der Alpensüdseite rechnen. Auch stürmische Böen im Mittelland sind vor allem als Begleiterscheinung von Schauern zu erwarten. Dabei fällt Schnee bis in die Niederungen, der aber aufgrund knapp positiver Temperaturen in den tiefsten Lagen kaum liegen bleiben dürfte. In den Alpen ist bei einem Neuschneezuwachs von bis zu einem Meter und massiven Verfrachtungen durch den Sturm erneut mit einer prekären Lawinensituation zu rechnen.

Sturmtief „Joachim“ 15./16.12.2011

Kaltfront vom 14.12.2011 in Bern (Foto: Fabienne Muriset)

Kaltfront vom 14.12.2011 in Bern (Foto: Fabienne Muriset)

Über dem Atlantik hat sich in den vergangenen 24 Stunden ein Tiefdruckgebiet gebildet, das sich nun markant verstärkt und in der Nacht auf Freitag bzw. am Freitag tagsüber vom Ärmelkanal über Nordfrankreich und Mitteldeutschland nach Nordpolen zieht. Über die Zugbahn sind sich die Modelle inzwischen weitgehend einig, Differenzen gibt es noch beim Kerndruck, der zwischen 960 und 975 hPa gerechnet wird. Sein Sturmfeld wird auch die Schweiz erfassen, das folgende Szenario basiert auf einem Modell mit dem tiefsten Kerndruck (worst-case-szenario):

Die ersten Anzeichen des nahenden Sturms werden in der Schweiz im Lauf des späten Donnerstagabends spürbar, wenn der Wolkenschirm der Warmfront aus Westen aufzieht und in mittleren Lagen der Wind deutlich stärker wird. In der zweiten Nachthälfte überschreiten die Windspitzen auf den Jurahöhen vereinzelt 150 km/h, im Mittelland wird ein Mittelwind von 50 km/h mit Böen bis 80 km/h erwartet. Die Böigkeit wird zunächst durch den Warmfrontregen noch gedämpft, auch können sich im Mittelland in den tiefen Lagen mitunter noch längere Zeit Kaltluftpolster halten, sodass der stürmische Wind erst später durchbricht.

Am Freitagvormittag befindet sich die Schweiz im Warmsektor. Die Schneefallgrenze steigt in der Westschweiz, wo auch die grössten Regenmengen erwartet werden, auf 1500-1800 m. Nun kommt bei einer Druckdifferenz von ca. 15 hPa zwischen Lugano und Zürich der Föhn ins Spiel. Dieser wird in den Alpentälern nur wenige Stunden, aber durchaus heftig auftreten: In den typischen Föhntälern sind Böen bis 100 km/h nicht auszuschliessen. Auf den Bergen der Alpennordseite und des Wallis sind Orkanböen bis 160 km/h aus Südwest zu erwarten.

Am Freitagmittag erreicht die Kaltfront die Nordwestschweiz und zieht im Lauf des frühen Nachmittags über die Alpennordseite hinweg. Der Regen verstärkt sich schauerartig und spätestens jetzt brechen die Böen in voller Gewalt bis in die Niederungen durch. Es ist verbreitet mit Böen von 80 bis 100 km/h zu rechnen, an exponierten Lagen kann es durchaus auch mehr sein.

Von kurzen Aufhellungen am Nachmittag darf man sich nicht täuschen lassen: Am frühen Abend zieht eine zweite Front durch und kann noch mal Böen bis 110 km/h in die Niederungen bringen, dies vor allem in der Nordschweiz. Nun ist der Weg frei für die Kaltluft, welche die Schneefallgrenze in den Abendstunden bis in die Niederungen sinken lässt.

In der Nacht auf Samstag ziehen immer wieder Schneeschauer durch, am Alpennordrand und im Jura schneit es auch länger anhaltend. Bis Samstag früh können im Mittelland örtlich um 5 cm, in den Voralpen und im westlichen Jura bis zu 30 cm Schnee zusammenkommen. In den Westalpen oberhalb von 2000 m, wo der gesamte Niederschlag des Tiefs „Joachim“ als Schnee fällt, ist ein Neuschneezuwachs von bis zu 150 cm möglich. Entsprechend steigt hier die Lawinengefahr.

Auf der Rückseite des Tiefs wird es am Wochenende winterlich: Immer wieder ziehen Schneeschauer durch, welche vor allem am Samstag noch von stürmischen Böen begleitet werden. Bei Tageshöchsttemperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt kann sich dabei auch in tiefsten Lagen eine dünne Schneedecke bilden.

Vertiefte Diskussionen, Karten etc. im Sturmforum unter http://www.meteoradar.ch/forum/viewtopic.php?f=2&t=7957&start=70

Westlagen-Winter?

Abweichung der Wassertemperatur im Nordatlantik Ende November (Quelle: NOAA)

Abweichung der Wassertemperatur im Nordatlantik Ende November (Quelle: NOAA)

Mit dem Monat Dezember hat sich nicht nur der meteorologische Winter eingestellt, fast gleichzeitig stellte sich die Grosswetterlage über dem Nordatlantik und Europa grundlegend um. Eine kräftige Westströmung hat die Regie über unser Wetter übernommen und bringt nicht nur Stürme, sondern auch viel Niederschlag und für die Jahreszeit deutlich zu milde Temperaturen. Lässt sich daraus ableiten, wie der Winter 2011/2012 generell verlaufen wird?

Die sehr lange und ausgeprägte Hochdrucklage über Europa im Herbst war auf einen negativen Index der Nordatlantischen Oszillation (NAO) zurückzuführen. Der NAO-Index drückt vereinfacht gesagt das Verhältnis zwischen Islandtief und Azorenhoch aus. Sind die Gegensätze zwischen den beiden Druckgebilden ausgeprägt, wird der NAO-Index positiv, sind die Druckzentren verschoben oder schwach ausgebildet, spricht man von einem negativen NAO-Index. Bei deutlich positiven NAO-Index-Lagen ist die vom Nordatlantik nach Europa gerichtete Westströmung stark ausgeprägt, bei negativem Index ist die Westströmung schwach, dann herrschen über dem Kontinent häufig Nord-, Süd- oder gar Ostlagen, sowie längere windschwache Hochdrucklagen, wie wir dies im vergangenen Herbst erlebt haben.

NAO-Index, Messwerte und Prognose für Dezember (Quelle: NOAA)

NAO-Index, Messwerte und Prognose für Dezember (Quelle: NOAA)

Einiges deutet darauf hin, dass sich nun eine längere NAO+ Lage einstellt:
– die Wassertemperatur an den Küsten Westeuropas weicht positiv zur jahreszeitlichen Norm ab
– die Wassertemperatur vor der Südostküste Grönlands bis zum zentralen Nordatlantik ist eher kühl
– der subtropische Atlantik vor der Ostküste der USA ist eher zu warm

Eine solche Verteilung der Wassertemperaturen fördert oft über längere Zeit die Entstehung von Höhentiefs (Trögen) über dem zentralen Nordatlantik, woraus immer wieder kräftige Sturmtiefs resultieren. Diese sorgen für die ausgprägte Westströmung, begleitet von zu hohen Temperaturen und hoher Luftfeuchte, also überdurchschnittlichen Niederschlägen. Die Konstellation lässt einen milden und zu nassen Winter in der Nordhälfte Europas erwarten, während im Mittelmeerraum ein durchschnittlicher bis leicht zu kühler und zu trockener Winter ansteht. Die Grenze bildet der Alpenbogen, entsprechend wird ein solcher Winter an der Alpennordseite zu nass und nur in hohen Lagen schneereich ausfallen, während an der Alpensüdseite Schnee wahrscheinlich zu einem seltenen Gut werden dürfte.

Das Langfristmodell des amerikanischen Wetterdienstes hat diesem Umstand bereits Rechnung getragen (links die Temperaturabweichung, rechts die Niederschlagsabweichung zum Klimamittel):

CFS Langfristprognose Dez-Feb (Quelle: NOAA)

CFS Langfristprognose Dez-Feb (Quelle: NOAA)