18.8.2020: Basler Split und Linksläufer-Superbabyzelle

Der Linksläufer im Abendlicht
Foto: Mike Tscharner

Am Abend des 18.8.2020 teilte sich eine Gewitterzelle, welche knapp südwestlich von Basel entstanden ist. Die eine Zelle wich dem mittleren Höhenwind nach rechts, die andere nach links aus. Der Rechtsläufer zerfiel nach 1 3/4 Std., der Linksläufer überlebte länger, ca. 2.5 Stunden. Dieses Verhalten ist unüblich, meistens ist es umgekehrt. Dies ist Grund genug, den Linksläufer genauer unter die Lupe zu nehmen. Der Zufall wollte es, dass die Zelle ziemlich nahe am Feldberg Radar vorbeizog. Damit kann mit Hilfe der Dopplerwindmessungen des Radars untersucht werden, ob der Aufwind der Zelle rotierte oder nicht. In unserem Vorgängerblog („Ausbruch von Superzellen?“) hatten wir darauf hingewiesen, dass die Umgebungsbedingungen für Rotation bei den Linksläufern in der Regel weniger günstig sind als bei Rechtsläufern.

Die folgende gif-Animation zeigt die Zellteilung und die unterschiedlichen Zugbahnen der beiden Split-Zellen zwischen 1810 und 21 Uhr. Die Wolkentops erreichten ca. eine Höhe von 10 km über Meer, und die Hagelcores (rote Säulen) stiegen auf maximal 6 km. Die Zellen entstanden in einer vom Nordatlantik stammenden, mässig instabilen Luftmasse auf der Rückseite eines abziehenden Höhentroges und erreichten nicht die Ausdehnung und Stärke von hochsommerlichen Gewittertürmen.

Radar-Animation des Basler Splits.

Wir untersuchen im folgenden den Linksläufer um 21 Uhr, der Zeitpunkt, zu welchem die Zelle im Süden des Feldberg Radars vorbeizog. Wir zeigen vier vergrösserte Radarbild-Ausschnitte: die Doppler-Geschwindigkeit auf 2.6 km Höhe über Meer (Elevation 2.5 Grad), ungefiltert und gefiltert, und die Radarreflektivität auf 2.6 km und 5 km Höhe über Meer.

Das untenstehende Bild der Doppler-Geschwindigkeit zeigt einen Vortex moderater Stärke. Im ungefilterten Bild (links) sind eine grössere Zahl von Fehlmessungen erkennbar. Diese sind kleinräumig und sehr variabel. Mit einem Median-Filter kann das Doppler-Bild in der Regel recht gut von Fehlmessungen gesäubert werden. Eine Beurteilung der Wirkung eines Filters von Auge ist aber immer empfehlenswert. In diesem Beispiel (Bild rechts) bleibt nach der Filterung genau ein offensichtlicher Fehlwert übrig. Dieser kann vernachlässigt werden, und der Doppler-Vortex wird bestätigt. Der Wirbel rotiert antizyklonal (also im Uhrzeigersinn), genauso wie es sich für einen Linksläufer gehört. Die Rotation ist in den Radarbildern mehrerer benachbarter Elevationen über einen Höhenbereich von 2.5 – 5 km über Meer nachweisbar. Allerdings ist die Wirbelstärke nicht besonders berauschend.

Die Doppler-Geschwindigkeit auf 2.6 km Höhe (Elevation 2.5 Grad), gemessen mit dem Feldberg Radar um 19:00 Uhr. Das Bild links ist ungefiltert, im Bild rechts wurde auf die Daten ein 3×3 Punkte Medianfilter angewendet. Grüne Farben bedeuten Bewegung aufs Radar zu, die braun-roten Farben weisen auf Bewegung vom Radar weg hin. Datenquelle: DWD Wetterradar Feldberg

In den folgenden Figur wird die Radarreflektivität auf 2.6 km (Elevation 2.5 Grad) und auf 5 km (Elevation 8 Grad) angezeigt. Im Bild links ist eine für Superzellen charakteristische Struktur erkennbar: ein Haken („Hook“), eine (durch den Haken begrenzte) Schwachechozone („weak echo region“ oder „WER“) und hohe Gradienten der Radarreflektivität auf der Nordseite der Zelle. Die Grenze der Schwachechozone ist mit einer schwarzen Linie markiert, diese Linie wurde in das auf 5 km Höhe aufgenommene Radarbild übertragen (rechts). In diesem Bild begrenzt diese Linie eine Zone mit markant höheren Radarreflektivitätswerten, man spricht deshalb von einem Überhang. Die „weak echo region“ markiert die Lage des Aufwindes: in diesem werden die Wolkenpartikel in die Höhe transportiert, bevor sie an Volumen zulegen und, im Überhang und seitlich angrenzend, allenfalls Hagelkorngrösse erreichen. In der Grafik links ist auch die Position des Dopplerwirbels eingetragen, wie er in der vorangehenden Figur identifiert worden ist. Man kann hieraus schliessen, dass der Aufwind rotiert, und zwar, wie schon beschrieben, antizyklonal, d.h. im Uhrzeigersinn. Mit der Rotation werden die Niederschlagsteilchen um das Aufwindzentrum herumgeführt, und es kommt zur Bildung des charakteristischen „Hook“-Echos.

Die Radarreflektivität auf 2.6 km Höhe (links) und auf 5 km Höhe (rechts). Typische Merkmale werden in weisser Schrift markiert, der/die geneigte Leser/in möge verzeihen, dass wir z.T. auf die im englischen Sprachgebrauch üblichen Begriffe zurückgreifen. Datenquelle: DWD-Wetterradar Feldberg.

Der Linksläufer kann also zum untersuchten Zeitpunkt (21 Uhr) als Superzelle klassiert werden. Die beschriebene Struktur kann in vier aufeinanderfolgenden Messzyklen (20:55 – 21:10) Uhr mehr oder weniger deutlich nachgewiesen werden. Vorher und nachher sind die Merkmale einer Superzelle weniger klar. Allerdings müssten die Messdaten durchgehend analysiert werden, um die effektive Dauer dieser superzellulären Phase zu bestimmen. Ab 21:15 Uhr schwächelte die Zelle zunehmend und verschwand eine halbe Stunde später aus dem Radarbild.

Die in den Radarbildern sichtbaren und beschriebenen Merkmale sind ein Spiegelbild der weitaus häufigeren rechtsziehenden Superzellen. Allerdings ist die Zelle markant kleiner als ihre grossen, ausgewachsenen Gegenspieler, welche typischerweise lange Schadenspuren durch Hagel, Sturm und schlimmstenfalls Tornados generieren. Man könnte in diesem Fall von einer Superbabyzelle oder, offizieller, von einer Mini-Superzelle sprechen. Der Vollständigkeit halber wird in der folgenden Figur ein stark vereinfachter Hodograf wiedergegeben (beruhend auf der Payerne-Sondierung vom 19.8.2020 00z), mit welchem die SREH 0-3 km abgeschätzt werden kann (vgl. hierzu unseren Vorgängerblog „Ausbruch von Superzellen“). Der gefundene Wert (37 m2/s2) ist wenig berauschend und liegt deutlich unter der Schwelle (100-150 m2/s2), ab welcher gemeinhin Superzellen erwartet werden. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass die Windverhältnisse nur lokal die Entstehung der beobachteten Superzellenstruktur begünstigt haben. Dafür spricht auch die möglicherweise nur kurze Dauer der superzellulären Phase.

Vereinfachter Hodograph, beruhend auf der Payerne-Sondierung vom 19.8.2020 00Z und der berechneten Zugrichtung und Geschwindigkeit des Linksläufers.

Falls jedoch der Aufwind des Linksläufers vor 20:55 Uhr (noch) nicht rotierte, dann wäre die Zelle erst 1.5 Stunden nach ihrer Entstehung in eine Superzelle mutiert. Die Zellenbewegung blieb über die gesamte Lebensdauer etwa die gleiche. Es ist also möglich, dass der Aufwind eines Linksläufers manchmal rotiert, manchmal nicht, ohne dass dies aus der Zugbewegung direkt erkennbar wäre. Ein schlecht aufgelöstes Kompositbild hilft da wenig, erst mit Hilfe eines vollständigen Volumendatensatzes und mit qualitativ guten Doppler-Messungen gelingt es, den Status eines Linksläufers (Superzelle oder nicht) zuverlässig zu bestimmen. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu und gilt auch für Rechtsläufer.

 

Die Sache mit den Dezibel

Idealisierte Schallwelle. Der Schalldruck ist die Druckdifferenz zum Luftdruck und wird, wie der Luftdruck, in Pascal angegeben.

Anlass dieses Beitrages ist ein Artikel in der heutigen Ausgabe der NZZ unter dem Titel „Wie viel leiser ist Tempo 30 wirklich“. Der Baudirektor des Kantons Zürich, Martin Neukomm, äusserte sich, dass der Lärm durch die Temporeduktion von 50 auf 30 km/h halbiert wird. Wie üblich, wird er für diese Aussage kritisiert. So sei der Rückgang „lediglich“ 19 Prozent. Bundesämter gehen von einer Reduktion des sog. Schalldruckpegels um 2 bis 4.5 Dezibel aus. Damit der wahrgenommene Lärm halbiert werde, brauche es aber eine Reduktion um 10 Dezibel. Diese Zahlen sind einigermassen verwirrend. Wie steht es nun wirklich um die Dezibel und die effektive „Lärm-Reduktion“?

Die Dezibel spielen auch in der Radarmeteorologie eine grosse Rolle. Da ist die sog. Radarreflektivität, auch als „Z“ bezeichnet, eine fundamentale Grösse. Diese ist ein Mass für die Niederschlagsstärke, wenn auch kein besonders gutes, und wird in (mm6/m3) angegeben. Es ist eine Grösse, welche typischerweise zwischen 0.001 und 100 Millionen (mm6/m3) variieren kann. Zumindest sind die heutigen Radarmessgeräte in der Lage, etwa diesen Messbereich, 11 Grössenordnungen, abzudecken. Eine respektable Leistung der Radartechnik.

Das menschliche Hirn ist jedoch mit diesen elf Grössenordnungen ziemlich überfordert. Aus diesem Grund berechnet man den Zehnerlogarithmus von Z und definiert die Einheit „Dezibel“ oder „dBZ“ wie folgt:

dBZ = 10*log10(Z)

Der oben angegebene Wertebereich variiert dann zwischen -30 und 80 dBZ. Durch das Logarithmieren werden Quotienten zu Differenzen. Eine Differenz von zwei dBZ-Werten wird in dB (ohne das Z) wiedergegeben. Eine Differenz von 10 dB entspricht einem Faktor 10 Unterschied zweier Z-Werte. Und eine Differenz von 3 dB entspricht ziemlich genau einem Faktor 2 Unterschied zweier Z-Werte.

Beispiel:
Z1 = 10’000 mm6/m3 = 40 dBZ
Z2 = 1’000 mm6/m3 =30 dBZ
Z1/Z2 = 10 = 40 dBZ – 30 dBZ = 10 dB

Und nun zur Akustik. Da ist es ähnlich aber nicht genau gleich. Das physikalische Mass für die Lautstärke ist der sog. Schalldruck oder Schalldruckpegel. Dieser kann, wie der Luftdruck, als p bezeichnet werden und wird in Pascal angegeben. Wie die oben rechts wiedergegebene Abbildung zeigt, kann der Schalldruck als Abweichung vom Luftdruck durch eine Schallwelle definiert werden. Der Schalldruck umfasst typischerweise eine Spannweite von mindestens 15 (!) Grössenordnungen. Dies ist jedenfalls der Bereich, den das menschliche Ohr erfassen kann, bevor das Trommelfell reisst. Wenn man also das klobige Radargerät als eine respektable Errungenschaft der Technik bezeichnet, dann ist das Ohr ein Wunder der Natur. Dies sei nur so nebenbei festgehalten.

Aufgrund der riesigen Spannweite des Schalldrucks hat sich ebenfalls die logarithmische Einheit „Dezibel“ eingebürgert. Eigentlich müsste man, in Analogie zu dBZ, die Einheit dBp einführen. Diese Konvention hat sich jedoch nicht durchgesetzt. Man verwendet die Einheit dB sowohl für den logarithmischen Masstab des Schalldrucks als auch für den Logarithmus des Quotienten zweier Werte des Schalldrucks. Aber aufgepasst, die Definition der akustischen Einheit dB (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Schalldruckpegel) ist nicht die gleiche wie diejenige der radarmeteorologischen Einheit dBZ:

dB = 20*log10(p*50000)

Eine Abnahme um 3 dB des Schalldrucks bedeutet nun nicht mehr eine Reduktion um 50% (wie im Falle der Radarreflektivität), sondern lediglich eine solche um ca. 30%. Und 10 dB Abnahme bedeutet eine Reduktion um ca. 70%. Das rechnet sich sehr schnell, wenn man in der angegebenen Gleichung für p die Werte 1, 0.7 und 0.3 (Pascal) einsetzt:

20*log10(50000) = 93.98 dB
20*log10(35000) = 90.88 dB
20*log10(15000) = 83.52 dB

Soweit so gut. Die entscheidende Frage ist jedoch, wie der wahrgenommene Lärm vom Schalldruck abhängig ist. Diese Relation ist nichtlinear und frequenzabhängig, siehe hierzu ebenfalls den oben zitierten Artikel von Wikipedia. Die Frage nach der Lärmreduktion durch Geschwindigkeits-Beschränkungen wird so sehr schnell eine nicht-triviale Angelegenheit. Man tut also gut daran, die Botschaften der Politiker zu diesem Thema sehr kritisch zu hinterfragen.

 

Neuerungen meteoradar, Ende Mai 2019

Die rote Linie markiert den Bereich, in welchem das Deutschland-Radarkomposit die Anzeige der Schweizer Radars ergänzt. Quellen: metradar.ch, DWD

Wir berichten in diesem Blog über die folgenden Verbesserungen an unseren Radarprodukten:

1. Einbinden des Deutschlandradars im Radarbild

2. Anzeige des Blitzschlagrisikos in der kommenden Stunde

Einbinden des Deutschlandradars im Radarbild
Das Radarkompositbild der Meteoschweiz überdeckt einen Bereich von 710×640 km. Dieser Bereich ist so grosszügig bemessen, dass die Randbereiche von den fünf Schweizer Wetterradars nur rudimentär oder gar nicht erfasst werden. In unserem Produkt Donnerradar (metradar.ch) werden zwar die Blitzentladungen blinkend angezeigt, aber die zugehörigen Niederschlagsechos erschienen bislang entlang der Randbereiche nicht, da sich diese ausserhalb der Reichweite der Schweizer Radars befinden. Im nordöstlichen Teil des Radarbildes werden nun, zusätzlich zu den Daten der Schweizer Wetterradars, auch die Messdaten des Deutschland-Radarkomposits eingeblendet. In der eingefügten Grafik ist der betroffene Bereich mit einer roten Begrenzungslinie markiert. Davon profitieren nicht nur die bevölkerungsreichen Ballungsräume um Stuttgart und München. Im gesamten Raum nördlich des Hochrheins und des Bodensees kann mit einer markanten Verbesserung des Anzeigequalität des Niederschlages gerechnet werden. Dies gilt auch für hochreichende Gewitter in grosser Distanz zum Albis-Radar, aber vielmehr für flache, niedere Niederschlagsgebiete, welche vom Albis-Radar infolge der Erdkrümmung nicht mehr erfasst werden. Zudem ist das Deutschlandkomposit auch für die Nordschweiz ein valabler Ersatz, falls der Albis Radar ausfällt.

Das Deutschlandkomposit wird vorläufig nur in den Produkten Donnerradar (metradar.ch, zoomradar.ch, öffentlich) und Zoomradar Pro (Bezahlprodukt) eingebunden. Die Daten des Deutschland-Komposits werden nur dann angezeigt, wenn die Signalstärke diejenige der Schweizer Radars überschreitet. In den Bildprodukten wird die Präsenz des Deutschlandkomposits mit dem Code „DK“ markiert. Sollte das Deutschlandkomposit einmal nicht rechtzeitig (d.h. innert 2 Minuten nach der angezeigten Zeit) verfügbar sein, wird das Bild von 5 Minuten vorher auf die aktuelle Zeit extrapoliert und eingeblendet.

Anzeige des Blitzschlagrisikos in der kommenden Stunde
Auf der Homepage meteoradar.ch erscheint traditionellerweise ein Loop des 10-minütigen Vorhersagebildes. Zur Aufwertung dieses Radarloops werden ab sofort diejenigen Regionen orange eingefärbt, in welchen in der kommenden Stunde mit einem erhöhten Blitzschlagrisiko zu rechnen ist. Diese Zonen werden aus der aktuellen Blitzaktivität und der Bewegung der Radarechos berechnet. Das Risikobild wird blinkend im Wechsel mit dem letzten Radarbild eingeblendet, damit die Niederschlagsanzeige sichtbar bleibt.

Das erhöhte Blitzschlagrisiko wird seit langem bereits auf skywarn.ch angezeigt. Dort erscheinen diese orangen Flächen isoliert, ohne überlagertes Radarbild. Die Webseite meteoradar.ch ist somit die erste kombinierte Darstellung des Blitzschlagrisikos und des Niederschlagsbildes. Für die Beurteilung des Gewitterrisikos ist die Anzeige des Blitzschlagrisikos eine wertvolle Zusatzinformation. Da dieses Risiko vollautomatisch berechnet wird, können wir selbstverständlich keine Gewährleistung abgeben.

Im folgenden Wechselloop erscheint u.a. ein orange eingefärbtes Risikogebiet bei Bern. Dieses umfasst einerseits mehrere Gewitterzellen nördlich von Bern, andererseits aber auch die östlich angrenzenden Trockengebiete. Genau diese Trockengebiete sind in der kommenden Stunde durch Blitzschlag gefährdet, weil die berechnete Echobewegung eine Ostverlagerung der Gewitterzellen voraussagt. Wer sich in diesem Bereich im Freien aufhält, sollte die weitere Entwicklung genau verfolgen und rechtzeitig geschützte Innenräume aufsuchen.

Radarbild mit Starkregenzentren (gelb/rot eingefärbt) und Gebieten erhöhten Blitzschlagrisikos in der kommenden Stunde (orange eingefärbt). Quelle: meteoradar.ch

 

Jubiläumsgeschenk von meteoradar: Archiv von Wetterradarbildern

Demobild Radararchiv

Beispielbild vom 20.6.2013, 18:00 Uhr. Quelle: meteoradar und MeteoSchweiz

meteoradar wurde 1999 als ETH-Spinoff gegründet und wird dieses Jahr 15 jährig! Wir freuen uns, aus diesem Anlass allen Leserinnen und Lesern ein neues Langzeitarchiv von Wetterradarbildern öffentlich und kostenlos zur Verfügung zu stellen. Das Archiv umfasst bis auf wenige Lücken alle Bilder im 5-Minuten Takt ab dem 1.7.2008. Die Daten stammen von den drei Wetterradars Albis, La Dôle und Monte Lema der MeteoSchweiz.

Die Bilddarstellung entspricht dem „Look and Feel“ des alten Bildproduktes „Today National“ der MeteoSchweiz. Diese Karte zeigt nicht nur die Niederschlagsgebiete, sondern zusätzlich zwei Seitenrisse, in welchen die horizontale Projektion der Troposphäre (0-12) km abgebildet wird. Die Farbstufen entsprechen qualitativ den Niederschlagsintensitäten 0-1, 1-3, 3-10, 10-30 und > 30 mm/h. Nebst der Datum/Zeitangabe rechts oben im Bild werden am linken Bildrand drei Buchstaben, „ADL“, eingeblendet. Diese Buchstaben bestätigen, dass alle drei Radars bei der Messung im Betrieb waren. Bei Ausfall eines Gerätes wird der entspr. Buchstabe ausgeblendet.

Zur Bedienung stehen am rechten Bildrand verschiedene Optionen zur Verfügung. Nach der Wahl eines festen Zeipunktes kann, im 5-Minuten- oder im Stundentakt, vorwärts oder rückwärts durch die Bilder geblättert werden. Zudem kann eine Standortkoordinate eingegeben werden, welche dann im Bild mit einem Kreis und einer zusätzlichen Markierung in den Seitenrissen angezeigt wird. Diese Markierung kann auch durch Mausklick im Bild selbst gesetzt werden. Zur Orientierungshilfe wird am rechten Bildrand, beim Bewegen der Maus, die jeweilige CH-Koordinate angezeigt.

Die Radarbilder können durch Klick auf die rechte Maustaste heruntergeladen und lokal gespeichert werden. Die Nutzung des Archivs und der Bilder unterliegt selbstverständlich den Nutzungsregeln für den Gebrauch der meteoradar Produkte. Wir bitten alle User, keinen Missbrauch zu betreiben. Nur so kann dieses einmalige Archiv auf die Dauer angeboten werden.

Wir sind jederzeit dankbar für Rückmeldungen und Verbesserungsvorschläge. Zudem weisen wir darauf hin, dass Sie uns am Samstagnachmittag, 26.4.2014 an unserem „Tag der offenen Tür“ in Aeugst am Albis persönlich zum Archiv und den anderen Produkten und Diensten von meteoradar befragen können. Besuchen Sie uns in Aeugst, unter anderem erwartet Sie eine himmlische Theater-Überraschung!

Link aufs Archiv

Der tote Winkel des Radars La Dôle

Radarkomposit vom 07.02.2014 09:10 Uhr (Donnerradar/Winterradar von metradar.ch, frei zugänglich)

Radarkomposit vom 07.02.2014 09:10 Uhr (Donnerradar/Winterradar von metradar.ch, frei zugänglich)

Besonders in der kalten Jahreszeit fällt er gelegentlich auf: Der Winkel über dem Jura mit geringerer Reflektivität auf dem Radarbild. Am besten sichtbar wird er bei flächigen Niederschlägen mit einer breiten Front ohne stärkere konvektive Einlagerungen. Diese Bedingungen sind im Winterhalbjahr häufiger als im Sommer, daher eignet sich die Wetterlage am 07.02.2014 besonders für eine Dokumentation und Erklärung des Phänomens.

Funktionieren alle Radarstationen des Komposit-Radarbildes, fällt der tote Winkel des Radars La Dôle einzig durch geringere Reflektivität über dem Jura auf. Inmitten eines zusammenhängenden Gebiets mit mässigem Niederschlag wird in einem bestimmten Winkel (im Titelbild rot eingegrenzt) nur schwache Intensität angezeigt. Betroffen ist der grösste Teil des Waadtländer und Neuenburger Juras. Weiter nordöstlich, über dem Berner Jura und über dem Kanton Jura wird der tote Winkel durch die Sichtbarkeit der Radaranlage Albis bei Zürich kompensiert. Fällt das Albis-Radar hingegen bei einer solchen Wetterlage mal aus, wird das eigentliche Ausmass des toten Winkels sichtbar, wie das folgende Beispiel vom 15.05.2013 zeigt:

Radarkomposit bei Ausfall Albis am 15.05.2013 (Archiv Donnerradar von metradar.ch, kostenpflichtig)

Radarkomposit bei Ausfall Albis am 15.05.2013 (Archiv Donnerradar von metradar.ch, kostenpflichtig)

Niederschläge aus tiefen Schichtwolken werden in diesem Bereich überhaupt nicht erfasst, was hauptsächlich ein Problem des Winterhalbjahrs darstellt. Im Sommer entstehen die Niederschläge meist in höheren Bereichen, die vom weiter entfernten Radarstandort Albis wieder erfasst werden können. Die Sichtbarkeit von Schauern und insbesondere Gewittern mit hochreichenden Hageltürmen ist somit nur geringfügig eingeschränkt, allerdings werden auf Radarbilder basierenden Niederschlagssummenkarten nicht die vollen Regenraten erfasst. Da das Bodenmessnetz gerade im betroffenen Bereich Lücken aufweist, kann auch eine auf Bodendaten basierende Korrektur nicht alles ausgleichen.

Doch was ist überhaupt die Ursache dieses toten Winkels und warum kann er nicht einfach behoben werden? Wie das folgende Bild zeigt, ist der Gipfel des La Dôle mit allerlei Technik gespickt:

Wetterstation und Radaranlage La Dôle (Quelle: fotometeo.ch, 27.05.2013)

Wetterstation und Radaranlage La Dôle (Quelle: fotometeo.ch, 27.05.2013)

Im Vordergrund die SwissMetNet-Wetterstation, links der Radom des Niederschlagsradars und rechts der grössere Radom der Flugüberwachung Skyguide. Eine Informationstafel am Skyguide-Gebäude erklärt die verschiedenen Bestandteile der Anlage, wobei der frei stehende dritte Radom ganz links mittlerweile abgebaut wurde:

Informationstafel der Radaranlage La Dôle (Quelle: fotometeo.ch, 27.05.2013)

Informationstafel der Radaranlage La Dôle (Quelle: fotometeo.ch, 27.05.2013)

Der grössere Radom der Flugüberwachung steht nordöstlich des Niederschlagsradars und schattet somit einen Winkel von ungefähr 20° im Bereich Nord-Nordost ab. Der Aufnahmewinkel des folgenden Bildes (Blickrichtung Nordost, vorne Niederschlagsradar, hinten Skyguide-Radar) verdeutlicht die Situation:

Radaranlage La Dôle (Quelle: fotometeo.ch, 27.05.2013)

Radaranlage La Dôle (Quelle: fotometeo.ch, 27.05.2013)

Das Problem könnte dadurch behoben werden, indem der Niederschlagsradar höher gesetzt würde, doch dadurch entstünde ein toter Winkel bei der Flugüberwachung in Richtung Südwest. Was sicherheitstechnisch höhere Priorität hat, ist offensichtlich. Nur die geografisch getrennte Aufstellung der beiden Radaranlagen wie in der Region Zürich (Niederschlagsradar auf dem Albis, Skyguide-Radar auf der Lägern) verhindert die gegenseitige Störung, doch eine solche Lösung ist in der Westschweiz schwierig zu realisieren. Die benachbarten, ähnlich hohen Juragipfel sind kaum erschlossen (Kostenfrage!) und wahrscheinlich wäre hier auch ein Konflikt mit dem Landschaftsschutz vorprogrammiert.

Neue Korrektur des Winterradars

Zoombild Donnerradar/Winterradar mit Anzeige von Nieselregen in der Ostschweiz.

Zoombild Donnerradar/Winterradar mit Anzeige von Nieselregen in der Ostschweiz.

Unser Donnerradar mutiert jeweilen in der kalten Jahreszeit zum Winterradar. Dann wird die Anzeige von Schneefall und Glatteisregen relevant. Diese Anzeige ist seit längerem fest im Produkt Donnerradar/Winterradar integriert und funktioniert in der Regel leidlich gut. Allerdings nur dann, wenn der am Boden auftreffende Niederschlag im Radarbild auch erkannt wird. Genau da hapert es im Winter immer wieder. Der Wetterradar kann den Niederschlag nicht oder ungenügend erkennen, falls dieser von schwacher Intensität ist, bei kalten Temperaturen auftritt oder sich auf niedere Wolkenschichten, knapp über Boden, beschränkt. Weitere Erklärungen dazu finden sich im Blog „Niederschlag und Wetterradar“, welcher im letzten Frühjahr publiziert wurde. In jenem Blog wurde eine neuartige Korrekturtechnik vorgestellt, welche auf das aktuelle Radarbild angewendet werden kann. Bislang war das so korrigierte Radarbild den Kunden des Donnerradar 3D vorbehalten. Ab sofort ist die Korrektur komplett in den folgenden Produkten eingebaut:

– Übersichtsbild Donnerradar/Winterradar auf der Homepage www.metradar.ch
– Zoombilder Donnerradar/Winterradar
– Radarvorhersage meteolocal Übersichtsbild und Zoombilder
– Expressbild Donnerradar 3D

Die vom Radar nicht erkannten Niederschlagsgebiete sind nicht flächendeckend, sondern in einem Raster von regelmässig angeordneten Quadraten eingefärbt, siehe Zoombild zu Beginn des Artikels und das Übersichtsbild am Artikelende. Dieses Raster erscheint nur im aktuellen Radarbild der Loops. Diese zurückhaltende Darstellung wurde gewählt, um die Bildsequenz des Radarniederschlages nicht zu stören. Die Korrektur kann keinesfalls den Anspruch erheben, die räumliche und zeitliche Auflösung der Radarbilder zu erreichen. Aus diesem Grund wurde die Zusatzkorrektur stark in Raum und Zeit geglättet.  Dementsprechend ist die Zusatzkorrektur zu interpretieren: nämlich als eine ungefähre Angabe über ein Raumfenster von ca. 20×20 km und ein Zeitfenster von ca. 30 Minuten. Zu beachten ist auch, dass die Korrektur nur innerhalb der Schweiz aktiv ist. Durch die Glättung kann die Anzeige knapp über die Landesgrenze in die benachbarten Regionen migrieren.

Die beiden Beispielbilder zeigen Nieselregen in der Ostschweiz am 6.10.2013, ca 11 Uhr. In der Stunde vor diesem Zeitpunkt wurden an zahlreichen Regenstationen in der Ostschweiz Regenmengen im Bereich von 0-1 mm registriert.

Die neue Korrektur hat sich selbstverständlich im Echtzeitbetrieb zu bewähren. Wir sind deshalb gespannt auf die ersten winterlichen Wetterlagen und freuen uns auf Kommentare.

Übersichtsbild Donnerradar/Winterradar mit Anzeige von Nieselregen in der Ostschweiz. Quelle: www.metradar.ch

Übersichtsbild Donnerradar/Winterradar mit Anzeige von Nieselregen in der Ostschweiz. Quelle: www.metradar.ch

Der Sturm in Biel – Teil 2: Interpretation des Radarbildes um 17:55 Uhr

Zoombild Donnerradar, Region Biel um 17:55 Uhr. Details siehe Text. Quelle: meteoradar

Zoombild Donnerradar, Region Biel um 17:55 Uhr. Details siehe Text. Quelle: meteoradar

Als Ergänzung des Blogs vom 21.6. soll aus aktuellem Anlass versucht werden, die kurzfristigen Wetterrisiken für die Region Biel aus den um 17:55 Uhr zur Verfügung stehenden Radarbild-Information abzuschätzen. Hierzu werden zwei Bildquellen verwendet:
a) das Schlussbild „Donnerradar 3D“ des Blogs vom 21.6.
b) das Zoombild „Donnerradar Zoom“ dieses Blogs.

Aus der Zugrichtung und der Geschwindigkeit des Systems kann der ungefähre Zeitpunkt abgeschätzt werden, wann das System den Standort Biel mutmasslich überqueren wird. Dies dürfte um etwa 18:25 Uhr der Fall sein (dicke rote Querlinie). Die Bewegung des Systems ist mit dicken roten Längslinien markiert. Die dünnen Längslinien zeigen die allfällige Abweichung des Systems nach links oder nach rechts, gegenüber der mutmasslichen Bewegungsrichtung. Gemäss dieser einfachen Extrapolation kann man folgern, dass das Sturmzentrum, die rot eingefärbte Region, knapp westlich an Biel vorbeiziehen dürfte. Die rechte Ecke kann – muss aber nicht – den Standort Biel treffen. Superzellen mit zyklonaler Aufwindrotation (um eine solche handelte es sich im vorliegenden Fall ohne Zweifel) generieren die stärksten Wetterrisiken normalerweise am rechten Rand der auf dem Radar erfassten Starkechozone. In unserem Fall kann genau diese Zone die Region Biel treffen oder kanz knapp westlich vorbeischrammen.

Im folgenden werden die Wetterrisiken kommentiert, welche im Gefolge einer Superzelle auftreten können.

Risiko Blitzschlag
Es dürfte unbestritten sein, dass mit Blitz und Donner gerechnet werden muss. Die kleinen rot/orange/gelben Quadrätchen zeigen die Blitzentladungen in einem Zeitfenster von 5 Minuten. Es ist aber unmöglich vorauszusehen, wo und wann der Blitz allenfalls einschlagen kann. Das Risiko für einen festen, eng begrenzen Standort dürfte sogar sehr klein sein – sonst würde es zu viel mehr Zwischenfällen durch Blitzschlag kommen. Trotzdem wäre es verfehlt, diesem Risiko keine Beachtung zu schenken. Tragische Beispiele aus der Vergangenheit gibt es mehr als genug.

Risiko Hagel
Dieses Risiko muss als erheblich eingeschätzt werden. Es ist auch grosser, schadensträchtiger Hagelschlag möglich, vor allem deshalb, weil die Hagelzone in der Gewitterwolke bis 12 km hochreicht (siehe vorangehender Blog). Die rote Farbe im Radarecho gibt gute Hinweise, wo Hagelschlag auftreten kann. Es ist aber zu bedenken, dass sich die Hagelgefahr in den 30 Minuten bis zum vermuteten Eintreffen des Gewitters noch ändern kann, z.B. durch Abschwächung oder auch durch nochmalige Verstärkung des Gewitters.

Risiko Starkregen
Eine Superzelle kann extrem viel Regenwasser generieren, welches in kürzester Zeit, zusammen mit schmelzendem Hagel, zu lokalen Überflutungen führen kann.

Risiko Sturmböen
Dies ist bestimmt das relevante Risiko, zugleich aber auch das am schwierigsten einschätzbare. Sturmböen können auf der ganzen Breite einer Gewitterfront daherkommen, ebenso häufig sind aber lokale Sturmzentren und Variationen der Sturmstärke auf kleinsten Räumen. Downbursts/Tornados sind mögliche Begleiter von Superzellen. Es gibt Superzellen, welche kaum Sturmböen produzieren. Dies dürfte öfters in der Anfangsphase der Lebensgeschichte einer Superzelle der Fall sein. Mit zunehmender Lebensdauer steigt das Risiko für Sturmböen an, da die Abwinde stärker werden. Diese können auch zunehmend dem Niederschlagszentrum vorauslaufen und so deutlich früher als der Niederschlag an einem festen Ort eintreffen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Superzellen ein sehr hohes Risikopotenzial für Hagel, Starkregen, Sturmböen, Downbursts und Tornados in sich bergen. Der Wetterradar ist ein unverzichtbares Hilfsmittel geworden, um Superzellen rechzeitig zu erkennen, ihre mutmassliche Zugbahn abzuschätzen und so die möglichen Risiken räumlich und zeitlich einzugrenzen. Es versteht sich von selbst, dass ein hohes Fachwissen mit zuverlässigen und rasch verfügbaren Daten und Modellen in kürzester Zeit kombiniert werden muss, um dem Bedarf nach einer robusten Risikoabschätzung in Echtzeit gerecht zu werden. In diesem Artikel konnte nur ein Teil der Aspekte angesprochen werden, welche bei diesem Problemkomplex eine Rolle spielen. Im Zweifelsfall dürfte der folgende Grundsatz am ehesten dem Bedürftnis nach Sicherheit gerecht werden:

Besser 100mal zu früh als 1mal zu spät einen sicheren Ort aufsuchen.

Der Sturm in Biel, 20.6.2013 – eine Betrachtung aus Sicht des Wetterradars

Sequenz des Schweizer Radar-Komposits zwischen 20 und 20 Uhr am 20.6.2013. Quelle: meteoradar/Meteoschweiz

Sequenz des Schweizer Radar-Komposits zwischen 20 und 20 Uhr am 20.6.2013. Quelle: meteoradar/Meteoschweiz

Am 20.6., ca. 20 Minuten nach sechs wütete über dem Gelände des Eidg. Turnfestes ein Sturm, welcher Zelte aus der Verankerung riss und wie Papierschnipsel durch die flüchtenden Besucher jagte. Knapp 40 Verletze und hoher Sachschaden waren die Folge. Es war schon der zweite Sturm innert Wochenfrist. Wie kam es zu dem Sturm? War der Sturm überhaupt vorhersehbar? Wir meinen ja, anbei eine Betrachtung aus der Sicht des Wetterradars.

Die Wetterlage war eindeutig. Allenthalben wurden heftige Gewitter erwartet, die Wetterdienste überboten sich gegenseitig mit der Ausgabe von Gewitter-, Hagel- und Sturmwarnungen. Der Bieler Sturm wurde von einem lokalen Gewitter ausgelöst, welches im Jura aus SW ganz knapp am Neuenburger- und Bielersee vorbeischrammte. Dieses Gewitter begann seine Laufzeit weit südlich des Genfersees, um etwa 13:20 Uhr in der Nähe von Grenoble. Mit 60 km pro Stunde nahm das Gewitter seine Zubahn Richtung Norden, später Nordosten, in Angriff. Das westliche Genferseebecken wurde getroffen, und weiter ging die Reise durch den Jura bis in die Region von Basel, wo die Gewitterzelle um 20 Uhr ihre kompakte Eigenständigkeit verlor. Die Zugbahn des Gewitters ist im ersten Bild des angefügten Radarloops eingezeichnet. Nach 10 Sekunden startet der Bildloop, und man kann leicht erkennen, wie sich die Form und Stärke der Zelle auf ihrer Zugbahn laufend veränderte. Der Loop wird nur sichtbar nach Mausklick auf das kleinere Vorschaubild.

Die grösste Stärke erreichte die Zelle erst gegen Ende ihrer Lebensdauer. Kurz vor 18 Uhr befand sich der Mocken etwa auf der Höhe von Neuchàtel, siehe das Radarbild am Schluss dieses Artikels. Auf breiter Front – etwa 40 km – rauschte das Gewitter heran. Der Hagelkanal (rote Farbe) war zu diesem Zeitpunkt etwa 12 km hoch – in unseren Breiten eine selten erreichte Höhe. In der Folge schwächte sich das Gewitter leicht ab, auch die Höhe des Hagelkanals wurde geringer. Es ist anzunehmen, dass auch der Aufwind zu diesem Zeitpunkt schwächer wurde. Als Folge davon dürfte sich geballe Ladung von Wasser und Eis in der Wolke entleeren. Luft wird mitgerissen und am Boden umgelenkt. Sturmböen am Boden sind unvermeidbar. Wenn eine Gewitterfront auf einer Breite von 40 km daherkommt, dann dürften viele im Bereich dieser Front die gewaltigen Stumwinde zu spüren bekommen.

Deutlicher kann sich ein gefährliches Gewitter kaum ankündigen. Die Besucher der Veranstaltung wurden anscheinend von den Sturmböen völlig überrascht. 15 Minuten zuvor wäre eine rechtzeitige Evakuierung des Geländes möglich gewesen. Die Vorzeichen des Sturms waren überdeutlich, wenn nicht schreiend. Wir beschliessen diesen Blog mit der Wiedergabe unserer Warntexte, welche heute gegen Abend auf der Homepage www.meteoradar.ch erschienen sind.

– 16:03 Uhr: Aus Westen allmählich starke Gewitter, örtlich mit Hagel, Sturm und Sturzfluten.

– 17:18 Uhr: Zur Zeit sehr gefährlicher Gewittersturm im Jura, Höhe Neuenburgersee. Zugrichtung NE.

– 18:20 Uhr: Zur Zeit sehr gefährlicher Gewittersturm im Jura, Höhe Bielersee. Zugrichtung NE.

Radarbild kurz vor 18 Uhr. Quelle: meteoradar / MeteoSchweiz

Radarbild kurz vor 18 Uhr. Quelle: meteoradar / MeteoSchweiz

Niederschlag und Wetterradar

Wechselloop zwischen einem unorrigierten und korrigierten Radarbild. Details dazu siehe Text. Quelle: Donnerradar 3D Produkt von meteoradar

Wechselloop eines unkorrigierten und korrigierten Radarbildes. Auf das Vorschaubild klicken, um den Loop zu sehen. Details dazu siehe Text. Quelle: Produkt Donnerradar 3D von meteoradar

Die Niederschlagsmessung des Wetterradars ist ein Dauerthema. Die User von Wetterradar-Produkten erwarten eine absolute Präzision der Anzeige. Wehe, wenn es regnet oder schneit, und auf dem Radarbild ist nichts zu erkennen. Genauso schlimm ist auch der umgekehrte Fall: das Radarbild zeigt ein wunderschönes, hereinlaufendes und breites Niederschlagsband, aber die von etwas Wind verwehten Haare bleiben noch ein Stunde oder auch länger trocken. Woher kommen diese Diskrepanzen? Wir möchten die seit Jahrzehnten bekannten Ursachen nicht nochmals breitwalzen, der Text dazu würde bald einmal ein Buch füllen. Aber wir möchten in diesem Blog die wichtigsten Punkte kurz auflisten, und dann im zweiten Teil des Blogs ein neues Produkt vorstellen, welches das Erkennen der Unterschiede zwischen der Radaranzeige und dem „gefühlten“ Niederschlag erleichtern kann.

Dies sind die fundamentalen Eigenheiten der Radarmessung, welche die Präzision beeinträchtigen:
– Der Radar sieht den Niederschlag über unseren Köpfen, typischerweise 1-3 km über Boden, aber nicht am Boden selbst. Am Boden kann kein Wetterradar etwas brauchbares erkennen, das Signal der Bäume, Häuser, Hügel, und des Bodens selbst ist viel zu stark.
– Der Radar erkennt folgende Niederschlagstypen schlecht oder oft gar nicht: kleintropfiger Nieselregen und „trockene“ Schneeflocken bei Minustemperaturen.

Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Man kann sich nun die Wetterlagen ausdenken, bei welchen der Radar besonders Mühe hat. Zum Beispiel:
– Der Niederschlag in der Höhe fällt in trockene Luft und verdunstet, bevor er den Boden erreicht.
– Der Niederschlag bildet sich knapp über Boden, z.B. durch orographische Hebung, und wird so vom Radar übersehen.

Beide Wettertypen waren in den vergangenen Monaten besonders häufig und führten immer wieder zu Diskrepanzen. Es ist eine Binsenwahrheit, dass der Wetterradar vor allem im Sommer seine Stärken hat: beim Auftreten von Starkniederschlag und Gewittern. Niederschläge im Sommer sind in der Regel hochreichend, in Gewittertürmen oft 10-15 km hoch, und werden so von den Wetterradars viel leichter erfasst als seichte Niederschlagswolken knapp über Boden. Aber auch im Sommer kann es orographisch getriggerten Niederschlag geben, welcher dann vom Radar zwar erkannt wird, aber in seiner Intensität unterschätzt wird.

Seit einigen Wochen steht den Abonnenten des Produktes Donnerradar 3D ein Express-Radarbild zur Verfügung, welches im Wechsel ein unkorrigiertes und ein korrigiertes Radarbild anzeigt, siehe das beigefügte Beispiel zu Beginn dieses Blogs. Das korrigierte Bild zeigt den effektiv am Boden gefühlten Niederschlag besser an als das unkorrigierte Bild. Im beigefügten Beispiel von heute morgen zeigt das korrigierte Bild über dem Schweizerischen Mittelland kleinere Radarechos als das unkorrigierte Bild. Daraus lässt sich schliessen, dass die schwachen Niederschläge zum Teil noch verdunsten, bevor sie den Boden erreichen. Das würde dann eben bedeuten, dass der Niederschlag am eigenen Standort später einsetzt als aufgrund des Radarbildes erwartet.

Das korrigierte Radarbild ist experimentell. Wir werden in den kommenden Wochen Erfahrung sammeln und dabei die Korrekturtechnik weiter verbessern. Wir erwarten, dass die beschriebene Korrektur vor allem bei schwachen Niederschlägen eine Verbesserung der Anzeige bewirken kann. Es geht also vor allem darum, zwischen trocken und nass zu unterscheiden, und weniger darum zu erkennen, ob es mässig regnet oder aus Giesskannen kübelt.

Wetterradar, Tröpfchengrösse und orographischer Niederschlag

Aufnahme von fallenden Regentropfen, mit eingeblendetem Massstab. Verschlusszeit: 1/200s. Foto: Willi Schmid

Die starken Niederschläge gestern und vorgestern haben vielerorts zu lokal begrenzten Überflutungen geführt. Bei Ereignissen dieser Art stellt sich immer wieder die Frage nach der Genauigkeit der Messungen des Wetterradars. Die Vergleiche der Radarmessungen mit den uns zur Verfügung stehenden Bodenstationen stehen noch aus. Interessant ist aber die Feststellung, dass der Regenmesser in Sellenbüren während der Dauer des Ereignisses (2 Tage) praktisch das Doppelte, zeitweise sogar das Dreifache der Regenmenge gemessen hat, welche der Radar Albis über dem gleichen Standort „gesehen“ hat.

Die beiden Grafiken am Schluss dieses Artikels zeigen klar den Unterschied von einem Faktor 2 am 9.10., und sogar von einem Faktor 2.5 am 10.10.2012. Die rote Kurve ist jeweils die Messung des Regenmessers, und die grüne Kurve diejenige des Radars. Die blaue Kurve entspricht der grünen Kurve, gestreckt um einen Faktor 2. Wir vermuten, dass am Standort des Regenmessers, am Fuss des Uetlibergs, eine starke orographische Komponente die Niederschlagsintensität vergrössert hat. Der Hügelzug der Albis-Kette hat die darüberfliessende Luftmasse zum Aufsteigen gezwungen. Dadurch bildete sich eine zähe dicke Nebelschicht, welche als Quelle für zusätzliches Regenwasser wirken konnte. Im Vordergrund steht dabei der Seeder-Feeder Effekt, welcher von Bergeron in den 60er Jahren erstmals beschrieben wurde.

Auch wenn orographiche Prozesse wirksam waren, erklärt dies die beobachtete Diskrepanz zwischen Regenmesser und Radar noch nicht. Wir kennen die genaue Ursache nicht, vermuten aber folgende mögliche Erklärungen:
– Die Verstärkung des Niederschlags in der tiefen Nebelschicht wird vom Radar nicht gesehen. In Bodennähe stören Bodensignale die Radarmessung zu stark und werden deshalb weggefiltert.
– Der Niederschlag ist besonders kleintropfig, da auch Koaleszenzprozesse wirksam sein könnten, durch welche kleine Regentröpfchen entstehen („Nieselregen“). Kleine Tröpfchen werden vom Radar schlecht gesehen, können aber substanziell zur gesamten Regenmenge beitragen.
– Die Korrekturalgorithmen der MeteoSchweiz sind nicht optimal auf diese Art von orographischen Niederschlägen eingestellt.

Um die zweite Erklärung (kleintropfiger Regen) zu erhärten oder auszuschliessen, wäre eine Angabe über die mittlere Tröpfchengrösse resp. die mittlere Fallgeschwindigkeit der Tröpfchen von Interesse. In ruhender Luft, z.B. knapp über Boden, ist die Relation zwischen Tropfengrösse und Fallgeschwindigkeit gut bekannt. Kleine Tröpfchen fallen langsamer als grosse. Es gibt zwar jede Menge von sog. „Distrometern“ (mechanische und optische Geräte), deren Zweck es ist, die Grösse von Regentröpfchen indirekt aus der Fallgeschwindigkeit zu messen. Solche Messungen werden meines Wissens bei Wetterdiensten kaum gemacht und sind Forschungsaktivitäten vorbehalten. Als „Notlösung“ haben wir festgestellt, dass jede bessere Kamera mit einem anständigen Zoomobjektiv in der Lage ist, fallende Regentröpfchen zu fotographieren und dabei die Fallgeschwindigkeit zu extrahieren. Wählt man eine grosse Zoomstufe und eine grosse Blende, erreicht man eine geringe Schärfentiefe und kann so die Distanz der scharf abgebildeten Tröpfchen zur Kamera +- konstant halten. Eine Aufnahme zu Beginn dieses Blogtextes zeigt fallende Tröpfchen bei einer Aufnahmezeit von 1/200 Sekunden, mit eingeblendetem Massstab. Die Umrechnung der Spurlänge in Fallgeschwindikeit ist eine einfache Sache, setzt aber voraus, dass die Verschlusszeit der Kamera exakt ist.

Wir haben so, bei einer Regenrate von ca. 3.6 mm/h, die Spurlängen von 80 Tröpfchen ausgewertet und dabei eine mittlere Fallgeschwindigkeit von 3.6 m/s festgestellt. Die Schwankungsbreite ist gross und variiert zwischen 0.6 und 7.4 m/s. Was diese Werte bedeuten, ist eine offene Frage, darauf soll in einem späteren Beitrag eingegangen werden. Wir werden das Experiment auf jeden Fall wiederholen, und so mit der Zeit statistisch fundierte Erkenntnisse gewinnen können. Sollte sich ein Leser angesprochen fühlen, das Experiment zu versuchen, nur zu. Aufgrund unserer ersten Erfahrung ist dies nicht allzu schwierig.

Regenakkumulation am 9.10.2012, Details siehe Text. Quelle: meteoradar

Regenakkumulation am 10.10.2012. Details siehe Text. Quelle: meteoradar