Gewittervorschau 15.-21.08.2016

20160815-blog1Wer am Sonntag in der Natur unterwegs war, wird es trotz hochsommerlichen Temperaturen von knapp 30 Grad kaum übersehen haben können: Der Spätsommer hat Einzug gehalten. Das Licht ist weicher geworden, die Sicht klarer, die Farben verändern sich, ein Grossteil der Ernte ist eingebracht. Und nicht zuletzt sind die Quellwolken über den Mittelgebirgen (Jura, Schwarzwald, Voralpen) flach geblieben, wie unser Titelbild zeigt, aufgenommen am Sonntagabend von Schwarzenburg aus. Mit dem Spätsommer verändert sich auch die Gewitterklimatologie gegenüber dem Früh- und Hochsommer markant. Durch die flachere Sonneneinstrahlung wird der Boden weniger schnell aufgeheizt, gleichzeitig erreicht Mitte August die Mitteltemperatur in der Höhe den jahreszeitlichen Höhepunkt. Eine wichtige Zutat für Gewitterbildung wird damit schwächer: die Labilität. Damit es dennoch zu Auslöse kommt, müssen die beiden anderen Faktoren (Feuchte und insbesondere Hebung) dies kompensieren. Oder wir bekommen in der Höhe Unterstützung durch Kaltlufttropfen. In dieser Woche können wir all diese Einflüsse in unterschiedlichen Verhältnissen und Beziehungen zueinander beobachten.

Wir beginnen wie üblich mit der Übersicht der Grosswetterlage, diesmal unter Zuhilfenahme der Europakarte mit den steuernden Druckgebieten. Zusätzlich eingezeichnet sind warme (rot) und kalte (blau) Luftströmungen. Die schwarzen Pfeile markieren die Verlagerungsrichtung der Druckgebilde:

20160815-blog2Wir sehen den Beginn einer Omega-Lage, wobei sich die Achse des Hochdruckrückens über der Nordsee befindet. Omega-Lagen sind dann besonders stabil und ausdauernd, wenn die beiden flankierenden Tröge gleich stark sind. Wir erkennen jedoch rasch, dass der westliche Trog ausgeprägter ist als der östliche. Und damit ist der rasche Tod des Omegas bzw. des Blockadehochs bereits besiegelt, es entpuppt sich als Luftschloss erster Güte. Die warme Südströmung des Atlantiktrogs ist derart stark, dass das dadurch geförderte Hoch buchstäblich nach Norden katapultiert wird. Gleichzeitig ist der baltische Trog zu schwach, um entgegenzuhalten. Er wird vom nach Nordosten ziehenden Hoch nach Süden gedrängt, womit die beiden Füsse des Omegas über Mitteleuropa aufeinander zustreben und sich bald verbinden. Das Hoch im Norden wird von der Zufuhr warmer Luft abgeschnitten und verkrümelt sich zum sterben in die Arktis. Die Verbindung der beiden Tröge über Europa mündet in das, was wir vom ausklingenden Hochsommer bereits kennen: in eine neue Westlage.

Doch wenden wir uns zunächst der aktuellen Situation zu. Die Druckverteilung über Mitteleuropa ist eher flach unter leichten Hochdruckeinfluss, bei uns lagert aber eine sehr warme und ausreichend feuchte Luftmasse (Taupunkte um 16 Grad). Unter diesen Bedingungen im Früh- und Hochsommer hätten wir am Sonntag und heute Montag mit verbreiteten, teils heftigen Gewittern rechnen müssen. Die einleitend geschilderte schwache Labilität verhindert dies: Nur wo konvergente Windströmungen die Hebung massiv unterstützen, kann der Deckel durchbrochen werden. Die Thermik an den Mittelgebirgen wie Jura und Voralpen reicht dazu nicht mehr aus, es bilden sich nur harmlose Quellwolken. Typisch für den Spätsommer ist die Verlagerung dieser sogenannten Hitzegewitter in die Hochalpen. Sie entstehen über den nun schneefrei gewordenen Felsgebieten, die sich stärker aufheizen als die mit Vegetation bedeckten Hänge. Damit kommen kräftige Talwindsysteme in Gang, welche an den grossen Pässen und entlang des Alpenhauptkamms aufeinander treffen:

20160815-blog3Hier sind die wichtigsten Talwindsysteme der Zentralalpen eingezeichnet, das Radarbild zeigt die Situation am Sonntag, 14.08.2016 um 19:10 MESZ. Die Entstehung von Gewitterzellen über den grossen Pässen wie Gotthard, Lukmanier, Susten, Simplon, aber auch im Gebiet Brünig bis Grosse Scheidegg sind die logische Folge zusammenströmender Talwinde an Pässen und Kämmen. Bei Nordüberdruck (lokale Hitzetief-Bildung im Wallis) überschiesst der Talwind aus dem Haslital über die Grimsel und kommt als Nordostwind im Goms an, die Konvergenz bildet sich dann häufig im Gebiet Fiesch-Binn. Bei ausreichender Feuchte kommt es zu Verclusterungen wie am Sonntagabend. Recht überraschend war das System sehr langlebig und zog in der Nacht  in einer schwachen westlichen Höhenströmung über ganz Graubünden hinweg bis nach Südtirol.

Mit ähnlichen Szenarien in den Hochalpen ist auch in den nächsten Tagen zu rechnen, da sich die Bedingungen nur unwesentlich verändern. Es gibt aber Einflüsse auf Gebiete ausserhalb des Alpenbogens, die für uns interessant werden. Beginnen wir mit der Luftmassenverteilung in Mitteleuropa von heute Montag früh:

20160815-blog4Wir erkennen eine recht markante Luftmassengrenze quer durch Mitteleuropa, die polare Luftmassen (türkis bis grün) von subtropischen Luftmassen (orange) trennt. Durch die Bodendruckverteilung tendiert die kältere Luft bodennah nach Süden zu strömen, während in der Höhe schwacher Westwind vorherrscht. An der an sich inaktiven Luftmassengrenze gibt es Verwellungen, die meist unmotiviert irgendwo und relativ kurzfristig entstehen können. Es bilden sich lokale Konvergenzen, welche die Hebung fördern: fertig ist der Gewittermix auf der warmen Seite der Front. Die Modelle zeigen solche Hotspots zeitlich und räumlich unterschiedlich, entsprechend hoch ist das Überraschungspotenzial wie am Montagmorgen in der Nordostschweiz. Auch diese Ausgangslage verändert sich über die nächsten Tage nur schleichend: Das Bodentief über der Biskaya verlagert sich sehr langsam ostwärts, während der westliche Höhenwind bis Mittwoch kontinuierlich etwas anzieht. Etwas Bewegung kommt ab der Nacht zum Mittwoch in der Höhe hinein:

20160815-blog5In den meisten Karten kaum zu erkennen, schickt der Atlantiktrog einen ersten Ausläufer in Form eines schwachen Kaltlufttropfens in Richtung Alpen. Er nähert sich ebenso extrem langsam wie der markante Trog über Polen, wir befinden uns im Sandwich. Am Mittwoch und Donnerstag findet der Zusammenschluss dieser beiden Kaltlufttropfen über uns statt, es wird also in der Höhe kälter und somit labiler – theoretisch zumindest. Für Mittwoch dürfte es mit der Labilität und verbreiteter Gewitterauslöse dank der bodennah schwülen Luftmasse noch klappen. Am Donnerstag jedoch nähert sich bodennah aus Westen kühlere Luft:

20160815-blog6Da wir wissen, wie unberechenbar Kaltlufttropfen sind und noch keinesfalls klar ist, wie sich der Bodendruck dazu verhält, ist auch noch völlig offen wie sich der Donnerstag abspielt: Bleiben wir auf der warmen, aber labilen Seite mit kräftigen Gewittern, oder suppt flach aus Westen die Kaltfront rein und bringt einfach etwas Regen? GFS bevorzugt die zweite Variante. Es lässt den westlichen Trog rasch nach Osten ziehen, sodass wir uns am Freitag bereits auf seiner Rückseite in einem neuen Hochdruckrücken unter sehr warmer Höhenluft befinden könnten. Dies würde einen ruhigen, sonnigen und angenehm temperierten Freitag bedeuten (in den gängigen Wetterberichten nennt man das dann wieder mal „Zwischenhoch“, obwohl im Bodendruckfeld gar keins zu finden ist):

20160815-blog7Jedenfalls ist ruhige Zeit sehr knapp bemessen, denn bereits am Samstag wird der Atlantiktrog (jetzt mit einem Bodentief über den Britischen Inseln) für uns wetterbestimmend. Nach den heutigen Unterlagen soll am Samstag die nächste (diesmal markantere und aktivere) Kaltfront auf die Schweiz übergreifen:

20160815-blog8Über das tageszeitliche Timing und den gezeigten Hochdruckkeil halten wir uns mit Spekulationen fünf Tage im Voraus besser noch zurück. Potenzial für einen gröberen, die Hochsaison abschliessenden Knall ist gegeben. Ob es abgerufen wird, werden wir vielleicht erst am Freitag zu wissen glauben, um am Samstag wahrscheinlich trotzdem ins Staunen zu geraten. Jedenfalls öffnet diese Front der nächsten Westlage Tür und Tor. Glaubt man den heutigen GFS- und EZ-Ensembles, gerät Mitteleuropa wieder unter Hochdruckeinfluss und somit in eine stabile, spätsommerliche Lage, die dem heurigen Hochsommer zeigt was er zu tun gehabt hätte. Der EZ 00z-Hauptlauf von heute markiert aber den mahnenden Zeigefinger, dass man sich noch nicht zu sehr solchen Träumereien hingeben sollte.

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3 Gedanken zu “Gewittervorschau 15.-21.08.2016

  1. Hoi Fabienne

    Deine Grafik mit den Talwinden ist äusserst aufschlussreich. Ich wusste, dass im August die inzwischen schneefreien Hochlagen inneralpin durch die thermisch unterstützte Hebung einen wesentlichen Faktor zur Gewittergenese darstellen, sowie die damit verbundenen microskaligen Auswirkungen, die ja meist durch das dafür noch zu grobe Gitter von den Modellen nicht erfasst werden (wie Cosmo 1 gestern für den entspr. Tag und die Folgetage; z.B. heute Morgen nix, null, nada). Aber Deine Erklärungen für die Gewitter im Grimselgebiet, inkl. der Verfrachtung ins Bündnerland (die ich ab und zu am Radar verfolgte)sind wieder einmal nicht nur sehr lehrreich, sondern auch beispielhaft, denn solche Themen findet man von anderen Autoren sehr selten bis gar nicht, wenn es z.B. über die Effekte der Burgundischen Pforte, dem Allgäuer Einfluss auf das nördl. angrenzende Gebiet Memmingen/Augsburg/München geht, was Chaser sehr interessiert, die im Ausland unterwegs sind.
    Ganz toller Beitrag! Nun noch eine Frage: Ist der Ausdruck „Füsse des Omegas“ offiziell, oder ein persönlicher Begriff von Dir zur bildhaften Darstellung?

    Hoffentlich kommt der „Knall“, wie Du angedeutet hast….
    Gruss Cyrill

    • Danke Cyrill für das Feedback. Ob die „Füsse des Omega“ ein offizieller Begriff sind oder nicht, darüber habe ich mir noch gar nie Gedanken gemacht. Ist es nicht einfach naheliegend, das so zu nennen? Jeder einigermassen bewegliche Mensch kann das übrigens nachformen: Man spreize die Füsse nach aussen und gehe dann halb in die Knie. Was sieht man? 😉

  2. Einmal mehr ein supergenialer und lehrreicher Beitrag von dir, Federwolke!
    Zusammen mit der Prise Humor macht das Lesen einfach Spass, selbst wenn es mal nichts Spektakuläres verheisst!

    10/10, weiter so!

    Grüsse – Microwave

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